Crake ist genial. Er arbeitet für einen großen Konzern, hat Visionen, wie er der Menschheit helfen kann. Er soll Medikamente erfinden, die den Menschen helfen. Doch wie so oft in der Geschichte, können geniale Ideen auch ins Gegenteil umschlagen und ganz anders angewandt werden, als zunächst vorgesehen. Crake entwickelt das geforderte Medikament, ja. Aber er hat damit etwas vor, was er niemandem anvertraut.
Nach kurzem Zögern hocken sich die Kinder im Halbkreis nieder, Jungen und Mädchen gemeinsam. Ein paar von den Jüngeren kauen noch an ihrem Frühstück, der grüne Saft rinnt ihnen über das Kinn. Entmutigend, wie schnell man verkommt, ohne Spiegel. Trotzdem sind sie immer noch erstaunlich anziehend, diese Kinder: jedes nackt, jedes perfekt, jedes von anderer Hautfarbe – schokoladebraun, rosig, teefarben, butter-, krem-, honiggelb –, aber alle mit grünen Augen. Crakes Ästhetik.
Allein zwischen außer Kontrolle geratenen Erfindungen
Nur langsam versteht man, was Crake, der junge Wissenschaftler und Jimmys ehemals bester Freund angerichtet hat. Erzählt wird „Oryx und Crake“ aus der Sicht von Jimmy, der sich in einer nahezu zerstörten Welt und ohne Kontakt zu anderen Menschen durchschlagen muss. Er sucht Nahrung, Schutz, andere Überlebenden. Er sucht nach irgendeiner Form von Leben, das er aushalten kann. Versteckt sich vor genmanipulierten Tieren, die ohne die Anwesenheit von Menschen auf der Erde die Natur erobern. Waren sie einst zur Verbesserung des Alltags von Menschen gezüchtet worden, wie die mordlustigen Organschweine, stellen sie nun eine erntse Bedrohung dar.
Er muss weiter, so schnell er kann. Er braucht eine Energiepistole. Nicht nur wegen der Hunölfe oder Organschweine. Von Zeit zu Zeit blickt er über die Schulter. Der Rauch ist noch da. Er breitet sich nicht aus, sondern steigt weiter auf.
Jimmy wird auf seinem Weg zu einem Idol, aber nicht für Mitmenschen aus seinem Umfeld. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine ganz spezielle Erfindung von Crake zu behüten und Schlimmeres zu verhindern: Die Craker, eine gutgläubige und noch durch und durch gute Art Mensch. Crake selbst ist allerdings nicht mehr da. Genauso wenig wie Oryx, die Frau, in die Jimmy unsterblich verliebt war. Obwohl sie ihm nie viel von sich selbst und ihrer kurzen, aber bewegten Vergangenheit preisgeben konnte oder wollte.
,Du bist die Einzige’. Sie ist nicht die erste Frau, der er das gesagt hat. Er hätte diese Worte nicht durch zu häufigen Gebrauch in früheren Jahren verschleißen, hätte sie nicht als Werkzeug, als Hebel, als Schlüssel benutzen sollen, um Frauen zu öffnen.
Die Geschichte von Oryx und Crake von Margaret Atwood könnte als Einzelroman so stehen bleiben. Noch wunderbarer entwickeln sich allerdings alle Zusammenhänge und Hintergründe, wenn man auch die beiden nachfolgenden Romane „Das Jahr der Flut“ und „Die Geschichte von Zeb“ liest. Nach und nach lernt man die Biografien aller Protagonisten kennen. Versteht, wie die Menschheit sich so sehr verändern und letztlich fast beinahe verschwinden konnte. Warum eine Pandemie so viele auslöschen konnte, warum Crake sich entschieden hat, seine Genialität in eine ganz andere Richtung zu lenken.
Persönliches Fazit
Die Welt, die Margaret Atwood in dieser Trilogie erschaffen hat ist zauberhaft und erschreckend zu gleichen Teilen. Einerseits kann man sich so gar nicht vorstellen, dass eine solche Zukunft jemals real werden könnte. Aber andererseits kommt während der Lektüre doch immer wieder ein Gedanke auf: Was wäre, wenn das wirklich mal passiert? Ist diese Welt voller Unsicherheit, gesellschaftlichen Kluften, außer Kontrolle geratenen Erfindungen wirklich so abwegig? Das Buch vermittelt das Gefühl, Margaret Atwood könnte ein paar Jahre in die Zukunft blicken. Die Geschichte von Oryx und Crake ist vielschichtig, intelligent, unterhaltsam und bringt zum Nachdenken. Und immer wieder gibt es auch die Momente der Hoffnung, von Freundschaften, Liebe, Hilfsbereitschaft. Ein Buch und eine Trilogie, die einen nicht so schnell loslässt. Wie eigentlich alles, was die kanadische Autorin verfasst.
Rezension: 2019 © Marlene Gempp
Weitere Stimmen zum Buch:
Die MaddAddam-Trilogie
Utopie, Roman
Piper Verlag | ISBN: 978-3492311311
Taschenbuch, 384 Seiten
www.piper.de