Wir begeben uns in der Zeit zurück ins Jahr 1936, in dem dieser Roman erstmals erschienen ist. Es ist ein Schriftsteller unter den Anwesenden, die in dieser Nacht der Lebensgeschichte von Semjon Semjonovitsch Golubtschick lauschen dürfen. Er ist davon so beeindruckt, dass er sie niederschreibt. Das ist ein schöner literarischer Rahmen um den Bericht des Russen, dem ich genauso wie seine Zuhörer in der Gaststätte mit Spannung folge.
Als junge Menschen haben oder hatten die meisten von uns das Gefühl, dass aus uns etwas ganz Besonderes wird. Dieses Selbstverständnis hat auch Golubtschick in diesem Alter. Es ist die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als es noch etwas galt, ein Fürst zu sein. Als unehelichem Sohn eines solchen zieht er los, um die ihm seiner Meinung nach zustehende Stellung in dessen Familie einzunehmen und vor allem seinen werten Namen zu übernehmen. Ist klar, dass der hohe Herr das nicht ganz so sieht. Golubtschicks Geltungssucht startet eine Spirale von Neid, Hass und Selbstverachtung, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet und mich sehr an seine Erzählung fesselt.
Das liegt aber auch an dem tragischen Ton, den Joseph Roth anschlägt. Was genau hat Golubtschick getan? Wie kam es dazu? Alles führt auf den dramatischen Höhepunkt hin. Die feinsinnige Ausdrucksweise zieht mich von Beginn an hinein in die Zarenzeit und erweckt vor allem den Erzähler mit seinen Ecken und Kanten sehr nuanciert zum Leben. Es lohnt sich, dessen moralische Abgründe zu erforschen.
So grausam, meine Freunde, ist die menschliche Natur. Selbst dann noch, wenn wir eingesehen haben, daß wir schlecht gewesen waren, bleiben wir schlecht. Menschen sind wir, Menschen! Schlecht und gut! Gut und schlecht! Nichts anderes als Menschen. (S. 67)
Eine besondere Ausgabe
Ideal ist, wenn sich ein so starker Text wie dieser mit einer besonderen Aufmachung verbindet. Das ist hier definitiv gelungen. Die vielen meist farbigen Illustrationen von Klaus Waschk sind kunstvoll und sehr ausdrucksstark. Meist sind es Gesichter oder Fratzen, die die Stimmung des Buchs aufnehmen und verstärken. Sie scheinen die innere Zerrissenheit Golubschicks zu übernehmen und zu übertragen. Aber auch die Haptik trägt ihren Teil zu der hochwertigen Erscheinung bei: das große Format, das besondere Papier, der stabile Schmuckschuber oder der Leineneinband machen diese Ausgabe zu einem Genuss für Freunde schöner Bücher. Und wer es noch exklusiver mag: es gibt auch eine limitierte Ausgabe als Halbpergamentband.
© Rezension: 2019, Marcus Kufner
Weitere Stimmen zum Buch:
Roman
Faber & Faber – ISBN: 978-3-86730-151-0
1.09.2019
Leinenband im Schmuckschuber
176
www.verlagfaberundfaber.de