Schlagint…wer? Bis zur Lektüre dieses Romans waren mir die Brüder Schlagintweit unbekannt. Sicherlich hätten sie gerne auch die Bedeutung und Berühmtheit ihres großen Vorbilds Alexander von Humboldt erreicht, sie blieben aber trotz ihrer Bemühungen Forscher in der zweiten Reihe. Im Buch nehmen sie uns im Jahr 1854 mit zu einer mehrjährigen Reise von Bombay aus nach Norden bis in die Höhen des Himalaya, mit dem Ziel, neue wegweisende wissenschaftliche Erkenntnisse dieser damals im Westen weitgehend unbekannten Region zu gewinnen.
Vor allem für einen „mindestens zwölf Jahre“ alten indischen Waisenjungen, der von den Jesuiten den Namen Bartholomäus erhalten hat, wird das ein großes und sehr unwahrscheinliches Abenteuer. Es passiert nämlich fast nie, dass aus einem Waisenkind aus dem Moloch Bombay etwas wird, meistens werden sie nicht mal erwachsen.
Du wirst niemals frei sein. Du bist eine Waise. Schlimmer noch, eine ambitionierte Waise! Wenn du nicht aufpasst, wird dein Leben eine Reihe von Enttäuschungen sein. Einer wie du gründet keine Museen. Einer wie du muss dankbar sein, wenn er nicht als Kind krepiert. (S. 20)
Eine besondere Perspektive
Bartholomäus ist ein extrem wissbegieriger Junge und wird von einem der Heimleiter gefördert, weshalb er schon mehrere Sprachen kann. Das wollen sich die deutschen Forscher zu Nutze machen und nehmen ihn als Übersetzer mit. Der Clou dabei: Es ist Bartholomäus, der uns hier als Ich-Erzähler berichtet. Das bringt einerseits eine interessante Perspektive auf die entbehrungsreiche Expedition und ihre Teilnehmer, vor allem aber ist der Erzählton entsprechend locker. Auch wenn Bartholomäus gerne ziemlich altklug daherkommt, liest sich sein Bericht oft amüsant und fesselt mich sehr. Seine Sicht auf die Europäer, die die „Ureinwohner“ als minderwertig betrachten und sehr unterschätzen, ist wunderbar entlarvend. Es werden dabei zwar einige indische Begriffe verwendet, die mir nicht geläufig sind, das hält den Sprachfluss aber nicht wirklich auf.
Christopher Kloeble bringt die politische und ethnologische Situation in Indien ausgezeichnet in seinem Buch unter. Einige der vielen unterschiedlichen Religionen und Rassen des Landes finden sich unter den Expeditionsteilnehmern wieder. Unvereinbar erscheinen da manche Konflikte, die sich auf das Gesamte hochskalieren lassen. Wenn sich die einzelnen Strömungen vereinen würden, könnten sie sicher etwas gegen die verhassten englischen Besatzer unternehmen. Bald schon gerät Bartholomäus zwischen die Parteien. Soll er zu den Deutschen halten, die im Auftrag der East India Company unterwegs sind, oder besser seine Landsleute bei ihrem Kampf für die Freiheit Indiens unterstützen? Neben dem historischen Teil des Romans entwickelt sich dabei eine Spionagegeschichte, die eine enorme Spannung mitbringt. Wem kann Bartholomäus noch trauen? Die Suche nach seiner eigenen Identität ist dabei ein Symbol für die Identitätssuche des ganzen Landes.
Mein Fazit
„Das Museum der Welt“ ist ein historischer Roman mit einem sehr spannenden Spionageplot, erzählt von einem jungen, gewitzten Waisenjungen in einem erfrischenden Ton. Ich bin sehr gern in die Geschichte dieser großen, entbehrungsreichen Expedition eingetaucht.
© Rezension: 2020, Marcus Kufner
Weitere Stimmen zum Buch:
Historischer Roman
dtv | ISBN: 978-3-423-28218-5
21.02.2020
Gebunden
528
www.dtv.de
2 comments
das klingt toll, dankeschön…
[…] schreibt für das Bücherkaffee und hat Christoph Kloebles neuen Roman Das Museum der Welt […]