Martín Caparrós | Väterland

by Marcus Kufner
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“Väterland” von Martín Caparrós

Buenos Aires, 1933: Der Tango erobert die Massen, Wirtschaftskrise und Putschversuche setzen die Stadt unter Hochspannung. Ein ungleiches Pärchen will den rätselhaften Tod einer Politikertochter aufklären – und gerät zwischen die Fronten. Atmosphärisch dicht und mit viel Sprachwitz entführt Martín Caparrós in eine flirrende Metropole: halbseidene Bars, verqualmte Zeitungsredaktionen, Dichtercafes, politische Aufmärsche – ein Tanz am Abgrund. [© Text und Cover: Wagenbach Verlag]

 

Das hat der gute Pibe bestimmt nicht geahnt, in was für einen Schlamassel er da gerät, nur weil er seinem Kumpel Ayala verspricht, ihm bei einem Problem zu helfen. Man lässt doch seine Hombres nicht hängen, ist doch klar! Dummerweise ist Ayala einer, der mit Drogen dealt. Und ausgerechnet der bekannteste Fußballheld des Landes zahlt seine Schulden bei ihm nicht. So kommt Pibe ziemlich ahnungslos in die Fänge von Kriminellen. Und bei denen gilt: willst du was von mir, tust du erst mal was für mich. Für Pibe und für mich als Leser bedeutet das der Beginn einer Geschichte, bei der wir beide nicht wissen, wie sie verlaufen wird. Das gibt es ja doch eher selten, und so freue ich mich umso mehr, Pibe zu begleiten.

Ich wüsste nur allzu gerne, was bei der Sache für mich herausspringt, aber ich habe keine Ahnung, wahrscheinlich nichts, so wie immer, ich dämlicher Idiot.

 

Gefährliches Chaos

Die weltweite Wirtschaftskrise Anfang der 1930er hat Argentinien fest im Griff. Pibe hat wie so viele seinen Job verloren und ist mit seiner Miete im Rückstand. Auch politisch sind es unruhige Zeiten; in Deutschland wird beispielsweise ein Irrer zum Regierungschef ernannt. Aber in kaum einem Land ist der Kontrast so stark wie in Argentinien: die Oberen stopfen sich die Taschen voll und lassen das Volk hungern. Putschisten kennen keine Scheu vor Gewalt. Diese aufgeladene Atmosphäre nutzt der Autor ausgezeichnet, um sie mit seiner Geschichte zu verknüpfen. Denn sein Ich-Erzähler gerät in die Mühlen von alten Nationalisten, politischen Aktivisten, korrupten Polizisten und geltungssüchtigen Reportern. Seine Suche nach der Wahrheit wird immer gefährlicher. Da stellt sich schon die Frage, ob es sich lohnt, dieses Risiko einzugehen.

Das hier ist die Wirklichkeit, Junge. Schlimmer: Das ist Argentinien. Lass gut sein, glaub mir.

 

“Väterland” von Martín Caparrós

 

Starke Charakterisierung

Caparrós Charaktere sind sehr ausgereift. Pibe ist ein ziemlich lethargischer Held, der sich am liebsten nur mit dem Verfassen von Tangotexten beschäftigen würde. Ohne Antrieb von außen würde der sich nur um sich selbst kümmern. Aber da gibt es die schöne Raquel, die ihn um Hilfe bittet bei der Suche nach dem wahren Grund des Todes ihrer Freundin Mercedes. Auch die Nebendarsteller sind sehr glaubhaft gezeichnet, mit Ecken und Kanten, oft auch ziemlich unsympathisch. Überrascht hat mich der lockere Ton des Buchs, vor allem in den Dialogen. Immerhin ist die Handlung schon über achtzig Jahre her. Steif wird die Sprache aber nur, wenn hohe Herrschaften auftreten. Damit unterstreicht Martín Caparrós nochmal, wie einfach sein Held eigentlich gestrickt ist. Für mich wird sein Buch damit zu einem sehr kurzweiligen Lesevergnügen.

 

“Väterland” von Martín Caparrós

 

Mein Fazit

„Väterland“ ist ein gelungener Trip in das Chaos, das Anfang der 1930er in Argentinien geherrscht hat. Mit starker Charakterisierung und gekonnter Verflechtung der Handlung in die historischen Umstände hat mich der Roman überzeugt.

© Rezension: 2020, Marcus Kufner

 

Weitere Stimmen zum Buch:

 

Väterland Book Cover Väterland
Martín Caparrós | Aus dem argentinischen Spanisch von Carsten Regling
Roman
Wagenbach | ISBN: 978-3-8031-3323-6
2.04.2020
Gebunden
288
www.wagenbach.de
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