„Wer ist das?“, riefen viele. Aus Angst, dass der Körper aus dem Meer ein Geliebter sein könnte. Ein Bruder, ein Cousin, ein Sohn. „Wissen wir nicht“, antwortete Jeremy. „Ein Omen ist das, ich sag es euch. Ein ganz schlechtes Zeichen.“
An einem grauen Tag wird ein junger Mann an den Strand von St. Piran in Cornwall angeschwemmt. Niemand kennt ihn. Warum er auch noch nackt ist, kann sich keiner erklären. Gleichzeitig schwören einige Dorfbewohner, einen Wal im Wasser gesehen zu haben. Zufall? Von diesem Tag an nimmt das Schicksal des Dorfes auf jeden Fall rasant an Fahrt an. Denn der junge Mann, Joe, kennt die Zukunft. Und wie sich die Dorfbewohner vor ihr wappnen können.
Eine Ölkrise lähmt die Wirtschaft. Lebensmittel werden knapp, der Sprit geht aus. Auch in Cornwall sind die Auswirkungen nach und nach zu spüren. Und Joe weiß mehr als die Dorfbewohner, die ihn aufnehmen und aufpäppeln, nachdem sie ihn durchgefroren aus dem Wasser ziehen.
Er schreibt Pläne für eine Vorratshaltung, beginnt diese im nächsten Ort im Großmarkt zu horten und im Kirchturm zu lagern. Doch nicht nur die Wirtschaftskrise hält alle in Atem.
Epidemie bringt Dorfbewohner immer mehr in Bedrängnis – und zusammen
„Das ist kein zufälliger Sturm, Joe. Das ist Krieg. Diese Epidemie war nur eine Frage der Zeit.“
Gleichzeitig bricht auch eine Krankheit aus, ähnlich der Spanischen Grippe. Die Nachrichtenlage wird dünn, die Menschen von St. Piran zunehmend besorgter. Und Joe versucht alle durch die Krise zu manövrieren. Jeder beginnt, sich zu spezialisieren. Fisch angeln, Cider herstellen, die Kinder unterrichten: Das Dorf wird autark. Und Joe verliebt sich in die Frau des Pastors. Eine schwierige Dreiecksbeziehung nimmt ihren Lauf, die Joes Lage als Fremder im Dorf nicht gerade leichter macht.
John Ironmonger zeigt auf, wie schnell Fiktion zur Realität werden kann
Das Virus im Buch wurde mutmaßlich künstlich hergestellt, nachdem Wissenschaftler die Spanische Grippe entschlüsselt hatten. Im Roman bricht die Pandemie zusammen mit einer weltweiten Ölkrise aus, so dass die Versorgungsketten unterbrochen werden. Zum Glück ein großer Unterschied zur aktuellen Corona-Krise. Trotzdem ist es erstaunlich, dass in dem knapp ein Jahr alten Roman viele Parallelen zur Realität auftauchen.
John Ironmonger, der Autor, hat in einem Interview mit dem S.Fischer-Verlag Ende März selbst ausgedrückt, wie erstaunt er sei, wie schnell eine Fiktion zur Realität werden kann: „Für mich war ein Ziel des Buches zu zeigen, wie Gemeinschaften auf Krisen reagieren, in dem sie nicht selbstsüchtig, sondern gemeinsam die Herausforderungen angehen.“
Persönliches Fazit
Ein Buch, das von der ersten Seite an spannend ist und die Frage aufwirft: Wer ist dieser Mann? Was hat er mit den Zusammenhängen auf der Welt zu tun? Und kommt der Wal wieder? Gegen Ende des Buches wird die Geschichte allerdings etwas zäh, die Lovestory nimmt etwas viel Platz ein und das Ende kommt plötzlich. Trotzdem ist die Idee hinter der Geschichte faszinierend und regt zum Nachdenken an. Vor allem vom Zusammenhang der Dorfbewohner können wir uns derzeit alle eine Scheibe abschneiden.
Rezension: 2020 © Marlene Gempp
S. Fischer Verlag / ISBN: 978-3-596-70419-4
FISCHER Taschenbuch, 480 Seiten
www.fischerverlage.de
2 comments
habe es gelesen und wollte es nicht aus der Hand legen…
lg wolfgang
Spannendes Buch. Kleiner hinweis: im nachspann schreibt er von einem Fall von botulismus beim Verzehr von walfleisch. Ganze Generationen und bevölkerungsgruppen haben sich von dem Fleisch und waltran ernährt