Das Debüt von Katya Apekina hat es wahrlich in sich. Zuerst in einem kleinen Indie-Verlag veröffentlich, entwickelte sich Je tiefer das Wasser zum Überraschungserfolg des letzten Jahres, Übersetzungen ins Französische, Spanische, Italienische erscheinen zeitgleich im Frühjahr 2020. Ein komplexes Familiendrama mit absoluter Sogwirkung, wenn man sich darauf einlassen kann. Mir ist das gelungen und ich muss jetzt noch, Tage später, sehr viel über das Gelesene nachdenken, denn in diesem Kaleidoskop vieler verschiedener Stimmen steckt so unglaublich viel. Details werden erst sichtbar, wenn das Wasser sich beruhigt, wenn man klarer sehen kann, bis ganz hinunter auf den Grund.
Heute kann ich leicht sagen, dass ich wünschte, ich wäre netter zu meiner Schwester gewesen, aber damals war mir das nicht möglich. Unser Vater hatte mir gerade das Herz gebrochen, unsere Mutter hatte sich gerade umgebracht, und ich hatte mich gerade verbrennen wollen. Ich konnte mir nicht leisten, großzügig zu sein.
1997: Die Schwestern Edith (16) und Mae (14) werden nach einem Selbstmordversuch der Mutter nach New York geschickt. Sie sollen dort für eine Weile bei ihrem Vater, dem Bestsellerautor Dennis Lomack, leben, der die Familie schon vor vielen Jahren verlassen hat. Aber das Familiendrama spitzt sich dort erst richtig zu. Ein jahrelang schwelender Brand, der sich in jetzt erst richtig entzündet. Dennis braucht eine Muse, um erfolgreich schreiben zu können. Schon sein ganzes schriftstellerisches Leben an saugt er andere aus wie ein Vampir. Erst sind es die Freunde, dann folgt die Familie, ja selbst vor seinen Kindern macht er keinen Halt. Er ist ein zerstörerischer Egomane, der gar nicht anders kann, der immer wieder seinem Drang nachgibt.
Kunst ist ein Messer. Du musst bluten.
Über verschiedene Zeitebenen wird die Geschichte hauptsächlich von den Kindern Mae und Edie erzählt. Die Geschwister sind sehr verschieden und gehen auf ganz unterschiedliche Weise mit den Erfahrungen um. Beide versuchen, aus dem toxischen Wirkungskreis auszubrechen. Aber es ist nicht einfach, sich aus diesen Fesseln zu lösen, die einen in die Tiefe ziehen, klammern und zerstören möchten. Toxische Beziehungen, sei es in der Familie oder unter Freunden, verankern sich tief und es fordert nicht selten drastische Maßnahmen um sich daraus zu befreien. Einen regelrechten Cut.
Besonders eindrücklich wird das Drama mit dem zusätzlichen Blick von außen. Katya Apekina lässt weitere Stimmen einfließen, Freunde, Geliebte und Familienmitglieder kommen zu Wort und fügen so immer weitere Puzzleteile hinzu, vervollständigen das Bild. Und je mehr ans Tageslicht kommt, je tiefer ich in dieses Wasser, diesen Strudel eintauchte, desto betroffener wurde ich. The Deeper the Water the Uglier the Fish – der Original Titel passt einfach hervorragend zur Geschichte.
Das Debüt von Katya Apekina ist mitreißend, aufwühlend und sehr vielschichtig.
Eine ganz klare Leseempfehlung meinerseits. Aber wie eingangs schon erwähnt, man muss sich darauf einlassen können. Es entwickelt sich zu einem düsteren Familiendrama und gegebenenfalls kann dies auch triggern.
© 2020, Alexandra Stiller
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Roman
Suhrkamp Verlag | ISBN: 978-3-518-42907-5
2020
Gebunden, 396 Seiten
www.suhrkamp.de
2 comments
Hallo,
diese Rezension weckt bei mir sehr viel Neugierde auf das Buch! Es kling vielschichtig, komplex, tiefgründig, und ich glaube, es muss auf meine Wunschliste.
LG,
Mikka
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