Leona Stahlmann | Der Defekt

by Alexandra Stiller
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Leona Stahlmann | Der Defekt || Rezension www.buecherkaffee.de, Alexandra Stiller

Leona Stahlmann | Der Defekt || In dem Sommer, in dem Mina dem achtzehnjährigen Vetko näherkommt, verändert sich für sie alles: Sie merkt, dass sie anders ist als der Rest des Dorfs. Was sich anfühlt wie ein Defekt, ein Fehler im System, wird für Mina bald der Punkt, um den sich ihr Leben dreht. Während Vetko und sie eine Verbindung zwischen Lust und Schmerz herstellen und Vetkos Forderungen immer existenzieller werden, sieht sie sich zusehends vor die Entscheidung gestellt, wie weit sie noch gehen soll. Duldet der Weg, den sie eingeschlagen hat, überhaupt einen Kompromiss? Leona Stahlmann erzählt in außergewöhnlicher, sinnlicher Sprache vom Aufwachsen mit einer von der Norm abweichenden Sexualität und von den Rissen in unseren Begriffen von Heimat und Identität. Sie erzählt von Mensch und Natur und von der Wucht, wenn sie in ihrer Rohheit aufeinandertreffen. (Bild und Text: © Kein & Aber Verlag)

„Du willst genau da hin, wo dein Wollen aufhört”

Es ist Sommer, Mina ist sechzehn und es ist die Zeit der Veränderungen, im äusseren wie auch im inneren. Sie lebt in einem kleinen Dorf im Schwarzwald und träumt davon, auszubrechen, die Welt zu entdecken. Vetko dagegen, der in sich gekehrte Aussenseiter, ist verwurzelt mit seiner Heimat. Er ist ein Einzelgänger, liest in den Pausen oder hört mit Kopfhörern 70er-Jahre-Gitarrenmusik. Sie haben wenig gemeinsam und doch nimmt Mina ihn plötzlich wahr. Da ist eine Verbindung, die sie nicht deuten kann. Da ist etwas, dass nur sie beide zu verstehen scheinen. Vetko erzählt, Mina hört zu. Gemeinsam öffnen sie eine Tür.

Ordnung, Strafe, Disziplin

Sie entdecken ihre eigene Art der Sexualität, tasten sich heran, suchen, erforschen. Sie treffen sich in einer leerstehenden Kapelle, am See oder nutzen spontan den Moment, der sich ihnen bietet. Sie machen sich Gegenstände zunutze, die sie im Haus entdecken, denen Erinnerungen anheften. Dinge, die Mina vertraut sind, während sie am Rand des Erträglichen entlang schreitet und Vetko die Kontrolle überlässt. Aber auf die Erfüllung folgt ein Down, eine Ausgelaugtheit, die für den Moment ein Infrage stellen zulässt. Was ist los mit ihnen? Ist das ein Defekt, dem sie sich entgegenstellen, sich entziehen sollte? Da ist niemand, mit dem sie reden könnte.

Leona Stahlmann möchte mit ihrem anspruchsvollen Debüt mehr für BDSM sensibilisieren. Oft wird das Thema in der Literatur entweder völlig übergangen oder sensationslüstern dargestellt, im Unterhaltungsbereich klischeebehaftet. Sie erzählt, wie es ist, wie es sich anfühlt, mit BDSM Sexualität aufzuwachsen, nähert sich auf poetische Weise, schaut nach innen, beobachtet. Ihr Stil ist erfrischend anders, unglaublich wortgewandt, bisweilen aber auch etwas überbordend. Aber gerade das macht es besonders, verleiht Eindringlichkeit. Sie erzählt von der Schönheit, der Rohheit der Natur, wie der Mensch mit ihr verbunden ist, über Heimat und über das, was uns erdet. Eine aussergewöhnliche, schmerzhaft intensive Coming-of-Age Geschichte über Selbstfindung und sexuelle Identität abseits von Normvorstellungen unserer Gesellschaft.

Fazit: “Das Debüt “Der Defekt” von Leona Stahlmann ist sehr ausdrucksstark und äusserst lesenswert.

©2020, Alexandra Stiller

 

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Der Defekt
Leona Stahlmann
Roman
Kein & Aber Verlag | ISBN: 978-3-0369-5821-7
2020
Hardcover, 272 Seiten
www.keinundaber.ch
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