Anfang des 15. Jahrhunderts in Europa: Drei junge Menschen in vollkommen verschiedenen Situationen müssen aus ihrem vertrauten Leben fliehen. Sara ist Jüdin und flieht vor ihrem gewalttätigen Ehemann. Ciaran ist Mönch und wird aufgrund eines Geheimnisses seiner toten Eltern gejagt. Ezzo will Ritter werden, muss aber nach einem Techtelmechtel mit der Königin sein Leben retten. Sie starten in Köln, Irland und Ungarn – und treffen nach einigen Irrungen und Wirrungen auf ihrer jeweiligen Reise aufeinander.
Saras Sicht der Geschichte steht dabei im Mittelpunkt. Der erste Teil des Romans dreht sich viel um das Thema jüdisches Leben in Deutschland im Mittelalter und wie sie von Christen im Alltag diskriminiert und auch verfolgt werden. Auch die Sitten und Bräuche des jüdischen Lebens zu dieser Zeit werden detailreich dargelegt. Saras Gefühle sind vor allem in den Kapiteln, die sie aus der Ich-Perspektive erzählt, im Mittelpunkt und man kann sich so von Anfang an mit ihrem kurzen Glück in ihrer ersten Beziehung, aber auch mit ihrem langen Leid, das folgt, identifizieren.
Wenn ich an die Zeit von damals denke, wird mir heute noch das Herz schwer. Warum Salo und mir nur so ein kurzes Glück vergönnt war, weiß nur Gott allein.
Spannende Reise der Hauptfiguren beginnt
Sie nimmt ihr Leben dann selbst in die Hand, als sie es zu Hause nicht mehr aushält. Sie emanzipiert sich, hofft auf eine bessere Zukunft und wehrt sich gegen Traditionen, die sie persönlich unterdrücken. Ihr größter Wunsch: Ärztin werden. Im 15. Jahrhundert ein noch sehr ungewöhnlicher Wunsch. Doch sie möchte es versuchen – und in Sicherheit leben.
Gleichzeitig starten Ciaran und Ezzo aus Irland und Ungarn auf ihre eigene, ganz persönliche Reise zu sich selbst. Auch die beiden jungen Männer hoffen auf eine bessere und vor allem sichere Zukunft. Alle drei treffen mitten in Deutschland aufeinander und ziehen gemeinsam am Rhein entlang. Sie kennen ihre Geheimnisse gegenseitig nicht, stützen sich aber. Eine vertrauensvolle Freundschaft entwickelt sich auf der gemeinsamen Reise ins Ungewisse.
Sara folgte ihm durchs Lager. Ihr anfängliches Misstrauen war verflogen.
Sie erreichen das Konzil in Konstanz. Der größte Kongress des Mittelalters, der von 1414 bis bis 1418 in Konstanz tagte und die Stadt am Bodensee auch zu einer wissenschaftlichen und kulturellen Drehscheibe Europas machte. Gleich drei Päpste nahmen zu dieser Zeit für sich in Anspruch, der Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein. Erst die Papstwahl im Konstanzer Konzilgebäude beendete die Spaltung des Abendlandes. Die Verurteilungen und Verbrennungen der böhmischen Reformatoren Jan Hus und Hieronymus von Prag zählen laut der offiziellen Homepage der Gedenkfeier zu den Schattenseiten des Konstanzer Konzils.
Hier geraten die drei Hauptfigur in Gefahr. Denn alle haben ein Geheimnis, das die damalige Welt rund um Kaiser und Papst erschüttern könnte.
Persönliches Fazit:
“Die Silberne Burg” von Sabine Weigand war für mich ein Zufallsfund. Ich kam an einem kleinen Buchladen in Lindau am Bodensee vorbei, in dem deckenhohe Regale stehen und kleine Treppen in verschiedene Themen-Räume führen. Da nichts los war, bin ich einfach rein, um mich umzuschauen. Und da fiel mir dieser historische Roman in die Hände. Die reale Rahmenhandlung des Konstanzer Konzils als Grundlage interessierte mich direkt.
Da es als Episoden-Roman angelegt ist, lernt man als Leser:in verschiedene Lebensweisen aus dem 15. Jahrhundert kennen. Die Beschreibungen der Kleidung, des Essens, der Städte und der Lebenssituationen sind sehr detailreich recherchiert und dargestellt. So lernt man neben den fiktiven Figuren auch ein Stück die wahren Rahmenbedingungen kennen. Vor allem das jeweilige Leben der drei Hauptpersonen kommt einem sehr nahe.
Eine nette Idee sind auch die originalen Zitate aus einem Medicus-Buch sowie Lieder und Gedichte aus dem Mittelalter, die zitiert werden. Dadurch kommt die authentische Stimmung noch besser auf. Die genauen Beschreibungen von medizinischen Behandlungen und der Quacksalbereien, die parallel betrieben werden, sind zugegebenermaßen teilweise gruselig. Vielleicht nicht vor dem Einschlafen lesen, wer empfindlich ist.
Wer sich aber für historische Romane interessiert, die in Deutschland spielen und das Leben im Mittelalter kennenlernen möchte, der wird „Die silberne Burg“ von Sabine Weigand gerne lesen. Die Romantik kommt übrigens auch nicht zu kurz.
Rezension: 2021 © Marlene Gempp
Historischer Roman
S. Fischer Verlag | ISBN: 978-3-596-18339-5
23.02.2012
Taschenbuch Seiten: 576
www.fischerverlage.de