Polly Samson | Sommer der Träumer (Kooperation)

by Alexandra Stiller
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Cover: Polly Samson | Sommer der Träumer

Polly Samson | Sommer der Träumer || London 1960: Als ihre Mutter stirbt, verliert die achtzehnjährige Erica Hart den Boden unter den Füßen. Da bekommt sie einen Brief von Charmian Clift, einer Freundin ihrer Mutter, die sie auf die griechische Insel Hydra einlädt. Erica zögert nicht lange und reist mit ihrer großen Liebe Jimmy in den Süden. Auf Hydra werden sie Teil einer Künstlergemeinschaft – darunter der norwegische Schriftsteller Axel Jensen, seine Frau Marianne Ihlen und der kanadische Musiker Leonard Cohen. Sie genießen die lauten Abendessen, die nächtlichen Spaziergänge und das Baden bei Mondlicht. Erica lernt das Gefühl der Freiheit lieben und bewundert die eingeschworene Gemeinschaft für ihre mutige Suche nach einem anderen Leben. Vor allem Charmian, die mit den Launen ihres schreibenden Mannes fertig wird, ihr Kind mitten in diesem Durcheinander großzieht und die auch selbst schreibt. Bis es zu einem großen Streit kommt, und Erica hautnah miterlebt, wie hoch der Preis ist, den Charmian zahlt. Als sich dann auch noch Jimmy von Erica abwendet, scheint sich der Sommer dem Ende zuzuneigen. (© Ullstein Verlag)

Polly Samson lässt Fiktion auf Realität treffen

Die Britin Polly Samson ist Schriftstellerin, Liedtexterin, Journalistin und Sängerin und verheiratet mit David Gilmour von Pink Floyd (sie heirateten 1994 während der Tour zum Pink-Floyd-Album The Division Bell). Beim Lesen der Danksagungen in ihrem aktuellen Roman Sommer der Träumer wird klar, dass Polly Samson für dieses Buch ausgiebig recherchiert und Gespräche geführt hat. Viele der in dem Buch erwähnten bekannten Personen lebten in den 1960er Jahren tatsächlich auf Hydra oder besuchten die Insel regelmäßig. Leonard Cohen und Marianne Ihlen zum Beispiel werden vielen natürlich bekannt sein. Cohen kaufte seinerzeit ein kleines Haus auf Hydra und schrieb dort seinen ersten Roman. Charmian Clift und George Johnston waren beide Schriftsteller und Journalisten in Australien, bevor sie 1954 mit ihren Kindern nach Hydra zogen. Sie wollten von ihrem Schreiben leben und das Paar wurde dort zum Zentrum der Künstlerkolonie.

Warum schreibe ich dies zuerst? Weil es für diesen Roman einfach ein wenig Vorwissen benötigt. Ansonsten verfällt man sehr schnell der Langeweile, da vieles nicht greifbar bzw. nachvollziehbar erscheint. Tatsächlich lohnt es sich, sich zu der Thematik etwas vorab einzulesen, denn der Roman ist zwar fiktiv, aber das Künstlerleben auf Hydra in den Sechzigerjahren ist eben real. In den Artikeln sind auch viele Fotografien zu finden, die sich letztlich mit den Beschreibungen im Buch 1:1 decken. Wenn man sich zuvor etwas damit auseinandergesetzt hat, wird das Buch gleich ganz anders wirken, das kann ich versprechen.

Polly Samson | Sommer der Träumer

Die trügerische Leichtigkeit des Seins 

Es ist Frühling 1960, und die 18-jährige Erica, die Erzählerin der Geschichte, ist mit ihrem Freund Jimmy und ihrem Bruder Bobby auf der kleinen griechische Insel Hydra gekommen, um sich einer ausländischen Künstlerkolonie von Schriftstellern, Künstlern und Musikern anzuschließen. Bunt gemischt treffen hier Bohemiens aus aller Welt, Schriftsteller, Künstler und Musiker, aufeinander und mischen sich (ein wenig wie die Heuschrecken) unter die Einheimischen. Erica kümmerte sich zuvor um ihre todkranke Mutter.

Kurz vor ihrem Tod überreicht diese Erica und ihrem Bruder zwei kleine Päckchen. Bobbys Päckchen enthielt die Schlüssel für ein Auto, ein porzellangrünes Cabrio, von dem niemand wusste, dass es ihrer Mutter gehörte. Sie verheimlichte dieses kleine Stück Freiheit vor ihrem Mann. Erika erhält ein – ebenfalls heimliches – Postsparkonto mit eintauschend Pfund. Der letzte Wunsch ihrer Mutter: Folgt euren Träumen! Nach ihrem Tode trifft Post aus Griechenland ein. Ein Roman, verfasst von Charmian Clift, der ehemaligen Freundin ihrer Mutter, zusammen mit einer Einladung, sie auf der Insel Hydra zu besuchen. Erika ergreift die Gelegenheit und flüchtet regelrecht aus dem Englischen Bayswater, läuft vor ihrem herrschsüchtigen und grausamen Vater davon, der seinen Frust und seine immer stärker werdende Depression an ihr und ihrem Bruder auslässt. 

So long, Marianne 

Hydra verspricht Freiheit und ein Loslösen von allen bürgerlichen Beschränkungen und Zwängen. Fantastisch blaues Wasser, salzweiße Häuser, günstige Unterkünfte. Es gibt keine Autos und nur bedingt Strom und Wasser, Esel transportieren alles Wichtige vom Hafen die steilen Wege hinauf. Keine Alltagshektik, kein Stress, die Uhren laufen langsamer auf Hydra. Dort leben eben auch Charmian Clift, George Johnston, Leonard Cohen und seine Geliebte Marianne Ihlen mehr oder weniger in den Tag hinein. In dieser Zeit konnte Cohen als Schriftsteller noch keine grösseren Wellen schlagen, legte aber den Grundstein für seine Musikkarriere. (Cohens On-Off-Beziehung zu Marianne Ihlen inspirierte ihn unter anderem zu den Liedern Bird on the Wire und So long, Marianne).

[…] Feuer unter den Zitronenbäumen auf der Terrasse, Krüge mit Retzina, Tanzen, ein bisschen Hasch. Farbfleckige Shorts, gebräunte Haut, nackte Füße. Kriegskinder, die meisten von uns, jünger als Leonard, dabei war er selbst kaum erwachsen. Mit einem Heißhunger, der so viel mehr wollte als die schmalen, kriegsversehrten Schatten unserer Eltern, saugten wir die Freiheit auf, für die sie gekämpft hatten. Machten Drogen und die Pille Veränderung möglich? War es eine bewusste Revolution?

Polly Samson | Sommer der TräumerIn ihrer Mitte lässt sich Erica mit kaum mehr als einem Bündel leerer Notizbücher und ihrem Kummer um ihre Mutter nieder und beobachtet fasziniert und beunruhigt, wie sich ein Paradies nach und nach auflöst. Sie hält sich an Charmian, die eine Art Mutterfigur für sie wird, und unterwirft sich schnell einem Regime offenkundiger Befreiung und Begeisterung – und tatsächlicher Unterdrückung und Knechtschaft. Jimmy verfasst seine Gedichte, Bobby gibt sich der Kunst hin. Charmians Ehemann George schreibt an einem Roman, dessen Handlung ihn frustriert und er erwartet ganz selbstverständlich von seiner Frau rund-um-die-Uhr-Unterstützung. Dass Charmian selbst gerne an ihrem Buch weiter schreiben möchte, ist da völlig unrelevant. 

Freiheit nur für die selbstgefällige Männerwelt

Überhaupt fällt sehr schnell auf, dass es in erster Linie die selbstgefälligen Männer sind, die ihrer Kreativität auf Hydra freien Lauf lassen können – während die Frauen dafür sorgen, dass es genügend Wasser und Essen gibt, dass die Kinder versorgt, alle sonstigen Aufgaben erledigt und die Bedürfnisse ihrer Männer befriedigt sind. Das macht unglaublich wütend zu lesen – und doch ist es ein (frustrierendes) Zeitzeugnis. Es gab sie, die Frauen, denen es gelang, sich in dieser Zeit aus den harten Klammern der patriarchalischen Männerwelt zu befreien. Aber vielen gelang das eben noch nicht, dieses eingefahrene, von den Männern schwer verteidigte Frauenbild zu durchbrechen.

Selbst Charmian, die sich dessen deutlich bewusst war, schafft es nicht. Umso mehr versucht sie, Erika zu warnen. Versucht, ihr aufzuzeigen, dass sie selbst leben und sich entwickeln muss, sich niemals von einem Mann abhängig machen darf. Doch Erika läuft Gefahr, auch auf der Insel der Freiheit nichts weiter als seine Haushälterin zu werden, genau wie ihre verstorbene Mutter. Das harte Licht der Sonne zeigt ungeschützt eben auch die Schattenseiten des damaligen Kommunenlebens auf. 

Über dem Sommer der Träumer brennt die Hitze Griechenlands

Ein melancholischer Roman über utopische Träume und verlorene Unschuld – und die kleinen und großen Dramen und Kriege zwischen Männern und Frauen. Der Original Titel lautet „A Theater For Dreamers“ und passt hervorragend. Hydra ist eine Kulisse, ein Theater, ein Schauplatz, voller Schönheit und Härte zugleich. Alkohol, Drogen und sexuelle Freiheit verblenden und übertünchen die Realität.

Dies ist ein äussert langsamer und meiner Meinung nach absichtlich träger Roman, der die Stimmung jener Kommunenzeit einfangen und transportieren soll. Darauf muss man sich aber auch wahrlich einlassen können. Und das fällt uns in unserer hektischen, von der Uhr bestimmten Welt, schon mal schwer. Ich selbst hatte das große Bedürfnis, im Mittelteil so einige Seiten zu überblättern, da mich diese Trägheit, diese Erstarrung endloser Sommertage schon regelrecht nervös machte. Vielleicht wäre es wirklich sinnvoll gewesen, diesen langen Sommer hier und da ein wenig zu kürzen. Der „Sommer der Träumer“ ist definitiv ein Buch für Träumer. Gut geeignet für heiße Sommertage, an denen man sich selbst ein wenig der Trägheit des Tages hingibt. 

@ 2021, Alexandra Stiller
Blogtransparenz: bezahlte Kooperation mit dem Ullstein Verlag / Presseexemplar
Kooperationen beeinflussen in keiner Weise meine Meinung zum Buch.

Sommer der Träumer | Originaltitel: A Theatre for Dreamers Book Cover Sommer der Träumer | Originaltitel: A Theatre for Dreamers
Polly Samson | Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben
Roman
Ullstein Verlag | ISBN: 9783550201424
01.03.2021
Hardcover mit Schutzumschlag
384 Seiten
www.ullstein-buchverlage.de
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