Lejla Kalamujić | Nennt mich Esteban

by Alexandra Stiller
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Lejla Kalamujić | Nennt mich Esteban, Rezension

Großartige Literatur aus Südosteuropa

Lejla Kalamujić, Autorin und LGBTQ-Aktivistin,  ist eine der wichtigsten Stimmen der jungen bosnischen Literatur. Sie ist in Sarajewo geboren und lebt auch heute noch dort. Ihr atmosphärisch dichter Erzählband „Nennt mich Esteban“ (großartig übersetzt von Marie-Luise Alpermann) ist autobiografisch unterlegt, ihre Protagonistin, die wir durch diese zweiundzwanzig kurzen, fragmentarisch gehaltenen Geschichten begleiten, heißt ebenfalls Leila. Alle Geschichten hängen zwar zusammen, und doch kann auch jede für sich alleine stehen. Sie bilden eine Collage mit vielen Ausschnitten aus ihrem Leben. Ein Leben, dass geprägt ist vom frühen Verlust der Mutter, von den Schrecken des Krieges, von Zerrissenheit, Trauer und Depression bis hin zu den Wirren der ersten Liebe.

Wie kann man mit Verlust umgehen?

Leilas Vater ertränkt die Trauer im Alkohol und sie selbst wächst bei ihren beiden Großelternpaaren auf. Doch der Krieg trennt die Familien. Lejla lebt mal bei den einen, dann bei den anderen, sie kann sich nicht zweiteilen, fühlt sich immer als Verräterin. „Zuhause“ und „Heimat“ sind zwei schwierige Begriffe geworden. Der Verlust geliebter Menschen und die Nachwehen des Krieges zeigen sich im Großen wie im Kleinen,  hinterlassen ihre Spuren.  All das zu verarbeiten und wieder Stabilität zu finden, das ist ein schwerer Weg.  Trost findet sie in der Literatur – sie hält Zwiesprache mit Franz Kafka über die Absurdität des Krieges und schreibt Briefe an die Lyrikerin Elizabeth Bishop und fragt sie: “Findest du, ich beherrsche die Kunst des Verlierens?“ Die Annäherung an die Literatur und das Schreiben ist gleichzeitig auch eine Annäherung an die verstorbene Mutter.

Es machte nichts, dass manchmal eine Geschichte die andere widerlegte und Ungereimtheiten auftauchten: Das Heilige rührt man nicht an, man glaubt daran.  (Seite 8)

Das alles klingt schwer, aber Lejla Kalamujić schreibt unglaublich elegant und lebendig. Ihre Sätze sind oft sehr kurz, aber pointiert, zart und oftmals auch poetisch. 2016 wurde diese Erzählungen auch für den Literaturpreis der Europäischen Union nominiert. Eine ganz klare Leseempfehlung meinerseits. „Nennt mich Esteban“ – wieder einmal mehr ganz großartige Literatur aus Südosteuropa.

@ 2021, Alexandra Stiller
Blogtransparenz:  unbezahlte Werbung, selbstgekauft

Lejla Kalamujić | Nennt mich Esteban, Rezension

 

Nennt mich Esteban Book Cover Nennt mich Esteban
Lejla Kalamujić | übersetzt von Marie-Luise Alpermann
Erzählband
eta Verlag | ISBN: 978-3981999853
2020
gebunden
120 Seiten
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