Wana ist Anfang 40, berufstätig, hat einen kleinen Sohn, einen Freund und eigentlich könnte sie zufrieden sein und Ruhe finden. Dann reißt ein schwerer Autounfall sie von einem Tag auf den anderen aus ihrem Alltag und sie muss sich wieder intensiv mit ihrer Familie und ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.
Mehrere tiefe Einschnitte als Kind und Jugendliche
Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie schon mehrere sehr schwierige Situationen meistern müssen. Als Sechsjährige erlebt sie den ersten tiefen Einschnitt, als sie mit ihren Eltern und der älteren Schwester aus der bisher glücklichen und freien Kindheit in Kabul gerissen wird und nach Deutschland kommt. Dort muss sie in einer engen Unterkunft klarkommen, fängt neu in einer Schule an, in einem Land, dessen Sprache sie noch nicht spricht.
Die Mutter zieht sich zurück in die afghanische Community, die Schwester träumt schon recht früh davon, den perfekten Ehemann zu finden und der Vater sucht seine Ruhe. Gehört sie zu ihrer Familie? Gehört sie überhaupt nach Deutschland? Als Kind zweifelt sie lange.
Zugehörig fühlt sich Wana erst so richtig als sie als Jugendliche eine beste Freundin findet. Ihre afghanische Kindheit scheint aus einer völlig anderen Welt zu stammen, ihre Familie wird ihr fremd.
Eine schicksalshafte Situation mit ihrem ersten Freund entfremdet sie noch weiter von ihrer Familie – und auch von sich selbst. Sie muss sich lösen und neu erfinden. Was ihr schließlich in Berlin gelingt.
Gehört sie zur Familie?
Doch dann stirbt ihr geliebter Vater, sie wird in einen Unfall verwickelt und lebt plötzlich wieder zu Hause. Bei der Mutter, von der sie sich seit Jahren missverstanden und falsch beurteilt fühlt. Gehört sie trotzdem zu ihr? Langsam kämpft sie sich zurück. Nicht nur gesundheitlich.
“Tanz zwischen zwei Welten” von Mariam T. Azimi ist sehr persönlich. Das Hin und Her in Wanas Leben und Gefühlswelt wird eindrücklich beschrieben. Besonders die gegenseitigen Missverständnisse und Schwierigkeiten, die aufgrund der Flucht nach Deutschland entstehen. Ein sehr kurzweiliges, interessantes Buch, das viele neue Perspektiven eröffnet. Auch, wenn das Ende etwas abrupt kommt.
Wana ist eine Protagonistin, der man sehr nahe kommt. Wie sie auf verschiedene Situation reagiert und wie sie denkt, ist nachvollziehbar, da man sie schon als Kind, Jugendliche und dann als Erwachsene kennenlernt. Ihre persönliche Dauerfrage „Wo gehöre ich hin, wo ist mein Zuhause?“ kann vermutlich jede*r nachvollziehen. Auch schon ohne die komplizierte Fluchtgeschichte und auch schon ohne die unterschiedlichen Kulturen, mit denen Wana klarkommen muss, wünscht man sich doch die Gewissheit zu wissen, wo man hingehört. Ein Kampf, den Wana jahrzehntelang mit sich und ihrer Familie ausficht.
Tanz zwischen zwei Welten: Ein Buch, das definitiv den eigenen Horizont erweitert.
Interessant ist auch, dass die Protagonistin in ihren 40ern steht, ein Kind hat und Zweifel an ihrer Beziehung hat. Kein rosaroter Kitsch, keine Frau in den 20ern, deren Geschichte mit dem Finden der großen Liebe auserzählt scheint. Wana ist eine wunderbar realistische Figur.
Erwähnen möchte ich auch noch die Covergestaltung: Filigran tanzt eine Frau über das Buch, Lichtreflexionen brechen sich in goldenen Sprenkeln. Für alle, die Bücher auch über die Titelgestaltung aussuchen, ist das sicher sehr ansprechend. Ja, auch ich greife noch lieber zu einem Buch, wenn mich das Thema interessiert und dazu auch noch die Optik stimmt!
Rezension: 2021 © Marlene Gempp
Blogtransparenz: unbezahlte Werbung, Presseexemplar
Roman
Ullstein Verlag | ISBN: 9783471360095
2021
Hardcover mit Umschlag
256 Seiten
www.ullstein-buchverlage.de
1 comment
Ich habe mich wahnsinnig über die Rezension gefreut. Danke!
Herzlich,
Mariam T. Azimi