Lamberts Karriere ist vorbei. Jahrzehntelang hat er erfolgreich Geräuschkulissen für den Film kreiert. Sein Talent liegt darin, die Realität durch künstliche Geräusche noch realer werden zu lassen. Neue Welten zu erschaffen, in die Zuschauerinnen und Zuschauer komplett eintauchen. Ein Maschinengewehr wird abgefeuert? Lambert, der in Künstlerkreisen Bert genannt wurde, nimmt Trauben und wirft sie an die Wand. Simpel, wirksam, eine kreative Idee. Von denen er in seinen Glanzzeiten Unmengen hat:
Ungeachtet der widrigsten Aufnahmebedingungen, die sich auf das Sprühverhalten und gleichzeitig auf sämtliche damit einhergehende Geräusche inklusive ihrer Assoziationsaura auswirkten, umfasste Berts Palette sowohl arktische Kälte – so klirrend, dass der Atem sämtlicher Laien vor ihrem geistigen Auge sichtbar wurde – als auch einen aufgrund von Überhitzung stöhnenden Druckkochtopf, einen Kometenschauer, ein leckes Schlauchboot mitten auf dem Ozean, eine Giftschlange außerhalb ihres Terrariums sowie Explosionen, die Bert Sprühdosen entlockte, indem er eine Mikrowelle, in die er sie zuvor gestellt hatte, auf vollen Touren laufen ließ.
Ein Unfall wirft ihn aus der Bahn
Doch Lamberts Geräusche haben ausgedient. Niemand nennt ihn mehr Bert, er wohnt am Stadtrand und hat schon seit Jahren nicht mehr mit seinem engsten Mitarbeiter, einem Toningenieur, gesprochen.
Und dann wirft ihn ein Unfall vollends aus der Bahn. Er weiß, dass er als alter Mann nich mehr gut zu Fuß ist, dass sein Körper nicht mehr immer so mitmacht, wie er es will. Aber das schlimmste tritt nach einem eigentlich kleinen Missgeschick ein: Ein Golfball trifft ihn am Kopf und Lambert stürzt. Als er wieder zu sich kommt, scheint das Verfallprozess sich zu beschleunigen: Er verliert sein Gehör. Sein wichtigstes Instrument.
Ist die Welt ohne Geräusche überhaupt real?
Lambert rafft sich aber noch einmal auf, um einen langen Weg zu gehen: Er will seinen ehemaligen Kompagnon finden und begibt sich auf einen Weg vorbei an seinen alten Wirkungsstätten. Vorbei an seiner schillernden Vergangenheit – die voller Töne und Klänge und faszinierenden Welten war.
„Der Charme der langen Wege“ steht auf der Longlist für den Österreichischen Buchpreis 2021.
Persönliches Fazit
Lambert ist ein liebenswerter und sehr schrulliger Charakter. Es gibt Momente zum Schmunzeln, aber auch traurige Episoden zum Nachdenken. Das neueste Werk vom Wiener Schriftsteller Hanno Millesi ist dabei keine ganz leichte Lektüre. Die Sätze sind wundervoll künstlerisch, voller Wortspiele und Metaphern, Wendungen und Verschachtelungen. Wer einen außergewöhnlichen Job kennenlernen und dabei komplett in die Welt eines einzelnen Charakters eintauchen möchte, der wird die ganz eigene Dynamik des Buches lieben lernen.
Rezension: 2021 © Marlene Gempp
Blogtransparenz: unbezahlte Werbung, Presseexemplar
Roman
Edition Atelier | ISBN: 978-3-99065-063-9
26.07.2021
Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
192 Seiten
www.editionatelier.at
1 comment
das ist ein Buch für mich, dankeschön…
lg wolfgang