Martina Parker | Zuagroast

by Wolfgang Brandner
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Martina Parker | Zuagroast || Alle suchen am Land ihr Glück, aber jeder findet etwas anderes.
Paul findet billiges Bauland, Affären und ein paar seltsame Gewächse. Vera findet ihren Ex, einen Job als schlecht bezahlte Lokaljournalistin und jede Menge Nacktschnecken. Johanna findet, die Zuagroasten haben mehr Geld als Verstand. Die würden sogar Brennnesseln kaufen, wenn ein Preispickerl dran wäre. Und Harald findet, dass es ein großer Fehler war, diesen Zuagroasten unter die Arme zu greifen. Denn jeder Gefallen rächt sich. [Text & Cover: © Gmeiner Verlag

“Im Burgenland wurde nicht viel gemordet. Im Süden schon gar nicht.”

Als “Gartenkrimi” wird der Debütroman der weitgereisten Journalistin Martina Parker vom Verlag eingeordnet. Zumindest der Klappentext enthält noch keinen Hinweis, dass die Autorin zwischen Hakan Nesser und Mario Puzo im Regal aufzuspüren sei. Tatsächlich ist im Roman die Gestaltung der Kulturlandschaft vor der Haustüre deutlich stärker gewichtet als die Aufklärung einer gesetzeswidrigen Tat. In einem Krimi markieren üblicherweise ein Mord und dessen Auflärung Start und Ziel der Geschichte, Erlebniswert beim Lesen bietet der Weg dazwischen.

In “Zuagroast” passiert der Mord erst spät, bis dahin ist eine durchgängige, zielgerichtete Handlung kaum auszumachen. Wer die gepflegte Mördersuche schätzt, könnte in Versuchung geraten, das Buch halb gelesen wieder auf dem Regal zu deponieren … wäre da nicht das Burgenland. Aus zahlreichen Interaktionen der Figuren, Anekdoten, kuriosem Wissen setzt die Autorin ein facettenreiches Kaleidoskop ihres Bundeslandes zusammen. Die heiteren, sympathischen Begebenheiten sind so kurzweilig erzählt, dass der obligate Mord schließlich wie eine unwillkommene Erinnerung an das nahende Ende wirkt. Als tragfähiger roter Faden erweist sich ohnehin die von häuslicher Gewalt geprägte Ehe zwischen Eva und Paul.

Die Autorin widmet sich schreibend offensichtlich weitaus lieber der erbaulichen und nutzbringenden Arbeit im Garten als der für das Genre obligaten Bluttat. Ihr umfangreiches botanisches Wissen ermöglicht es ihr praktischerweise, das Ableben des Mordopfers unblutig und ohne plumpe mechanische Hilfsmittel zu gestalten. Wer selbst gerne sät und erntet, wird in “Zuagroast” nicht nur Zerstreuung, sondern nützliche Anregungen finden. Wie etwa Johanniskrauttee zubereitet wird, mit welcher Gemüsesorte man ganze Siedlungen verköstigen kann, welchen Nutzen ein Hochbeet bringt und mit welchen Pflanzen man arglosen Mitmenschen das Leben erschweren kann – die Autorin flicht Lehrbuchwissen und eigene Erfahrungen didaktisch geschickt in das Zusammenspiel der Figuren ein und erspart den einen oder anderen Gartenratgeber. Jedem Kapitel ist zudem ein Kuriosum aus der Tier- und Pflanzenwelt vorangestellt, zu dem sich auf den jeweils folgenden Seiten eine ebenso kuriose Analogie aus dem menschlichen Verhaltensrepertoire findet.

Der Duden definiert den Begriff “zugereist” als “aus einer anderen Gegend zugezogen und aus der Sicht der Alteingesessenen noch nicht zugehörig” (https://www.duden.de/rechtschreibung/zugereist, aufgerufen am 29.07.2021). Jene, die sich als Einheimische deklarieren, begegnen den “Zuagrosten” oft distanziert und mit Vorbehalt. In manchen Gegenden Österreichs reichen angeblich selbst generationenlanger Grundbesitz und großzügige finanzielle Zuwendungen an lokale Institutionen nicht aus, das Stigma des Zuagroasten abzulegen.

Der Titel des Romans steht somit für das das (auf vielen Vorurteilen beruhende) Spannungsverhältnis zwischen Stadt und Land. Der urbane Raum gilt seit jeher als Hort der Dekadenz, der mit Annehmlichkeiten lockt und alle verdirbt, die er in sich aufsaugt. Aus der Stadt dringt das Fremde aufs Land, vor dem Argwohn angebracht ist. Umgekehrt formt das entbehrungsreiche Leben auf den Land einen grundehrlichen Charakter. Das Leben im Einklang mit der Natur eicht den moralischen Kompass. Das Dorf ist zugleich auch jener Äther, in dem sich Nachrichten so rasch verbreiten wie nirgendwo sonst. Einfluss auf die Verbreitungsgeschwindigkeit haben dabei Parameter wie Neuigkeit, die Beziehung des Senders der Nachricht zu derem Gegenstand und besonders das Potential, lokal bekannte Persönlichkeiten bloßzustellen.

Das war also die Frau vom Achleitner, dem Zuagroasten, mit dem die Zieserl angeblich eine Affäre hatte. Ganz Oberwart redete darüber. Die Einzigen, die wie immer nichts davon wussten, waren die Betrogenen. So war das am Land. (S. 179)

Mit dem Titel ihres Romans ruft die Autorin genau diese Stereotypen ab und weckt damit Erwartungen. Die Gründerin des Gartenstammtisches geht davon aus, dass ihre zuagroasten Teilnehmerinnen nicht das geringste Vorwissen mitbringen. Die stärkste Triebkraft von Evas mitteilsamer Nachbarin ist die Neugier, und Paul stellt bewundernd fest, wie einfallsreich die Burgenländer den Alkoholkontrollen an den Wochenenden ausweichen. Die Autorin nutzt dieses Klischee sehr behutsam, möglicherweise um es nicht zu plakativ auszuschlachten. Einige Momente mehr, in denen die Einheimischen auf ihren vermeintlichen Heimvorteil setzen, hätte dem Roman noch mehr an Witz verliehen.

‘Hast du gehört, dass der Michelbauer oben an der Kreuzung seinen Buben enterbt hat? Weil der ist spielsüchtig. (…) Da ist es besser, er lassen den Buam durch die Finger schauen und verkauft den Arkadenhof an so an depperten Zuagroasten.’ Sie schlug sich die Hand vor den Mund. ‘Euch habe ich natürlich nicht gemeint, ich rede von den anderen Wienern.’ (S. 94)

Ebenso blühend lebendig wie die burgenländischen Gärten portraitiert die Autorin ihre Figuren. Eva und Paul Achleitner, sowie Vera Horvath siedeln sich aus ihren jeweiligen Motiven in Sankt Martin an der Wart (ein real existierender Ort östlich von Oberwart und nahe der Grenze zu Ungarn gelegen) an. Sie sind also die “Zuagroasten”. Der Neubeginn in den Biographien eignet sich bestens, um gemeinsam mit Leserinnen und Lesern das neue Umfeld zu erkunden. Vera ist die erste, die namentlich eingeführt wird. Sie ist 42, alleinerziehende Mutter und zieht in das Haus ihrer verstorbenen Großmutter. Mit der Autorin teilt sie den Beruf der Journalistin. Damit übernimmt sie die nützliche Funktion, aus eigenem Antrieb nach Informationen zu recherchieren und einen Blick von außen auf Eva und Paul zu vermitteln. D

iese beiden ziehen beim Lesen emotional in das Geschehen: Paul ist eitel, herrschsüchtig und unterdrückt seine Frau. Ihm auch nur einen Funken Sympathie zu schenken, ist gewiss nicht im Sinne der Autorin. Eva hingegen ist jenes unfreiwillige Hausmütterchen, deren eigene Ambitionen im Schatten des Ehemannes verkümmert sind. Johanna, Gründerin des “Klubs der Grünen Daumen” ist das Sprachrohr der Autorin für angewandte Theorie. Wenn sie in Erscheinung tritt, erblüht das gärtnerische Wissen. Der Lebemann Finz schließlich löst Evas charakterliche Entwicklung aus. Sukzessive gewinnt sie den Mut, von der passiv duldenden Rolle in die aktiv handelnde zu wechseln. Martina Parker verpflanzt ihre Figuren in immer neue Situationen. Anhand ihrer Reaktionen und Entscheidungen gedeihen weitaus lebendigere Charakterbilder, als es durch bloße Zuschreibungen von Attributen möglich wäre.

Neben der Lust am leichtfüßigen Landschaftsportrait widmet sich der Roman der “häulichen Gewalt”. Die Grausamkeiten hinter verschlossenen Türen werden nur allzu leicht in diesen abstrakten Begriff gepackt und außer Sichtweite deponiert. Martina Parker öffnet dieses Paket und blickt sehr aufmerksam hinter die gutbürgerliche, architektonisch-kreativ gestaltete Fassade der Familie Achleitner. Paul kritisiert Evas Aussehen, ihre Kochkünste, ihre Kleidung, lässt seine üble Laune an ihr aus: “So ist es brav, brav gefällst du mir am besten. Du musst nur spuren, und alles ist gut.” Paul will stets Evas Aufenthaltsort wissen, ist notorisch eifersüchtig und nutzt selbst jede Gelegenheit, sich mit anderen Frauen einzulassen. Aus verbaler wird körperliche Aggression, jeder Widerstand wird im Keim erstickt. Über die Länge des Romans demonstriert die Autorin, dass “häusliche Gewalt” nicht ein einzelnes Ereignis ist, sondern aus vielen Demütigungen und Schlägen besteht, die eine Persönlichkeit verändern, sogar zerstören.

Persönliches Fazit

“Zuagroast” ist ein Beisammensein mit unmittelbar vertrauten Figuren in pannonischer Atmosphäre mit viel Gartenkunde und deutlich vernehmbarer Gesellschaftskritik.

© Rezension: 2021, Wolfgang Brandner

 

Zuagroast Book Cover Zuagroast
Martina Parker
Krimi
Gmeiner Verlag | ISBN: 978-3-8392-0095-7
2021
Klappenbroschur Premium
480 Seiten
www.gmeiner-verlag.de
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