Michael Robotham | Wenn du mir gehörst

by Alexandra Stiller
...

Michael Robotham | Wenn du mir gehörst - Rezension buecherkaffee.de

Michael Robotham | Wenn du mir gehörst || Der jungen Londoner Polizistin Phil McCarthy steht eine große Karriere bevor. Bis sie zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen wird. Denn der Täter ist ein hochdekorierter Detective, der seine Geliebte Tempe schwer misshandelt hat. Als Phil diese zu schützen versucht, wird sie suspendiert. Zumindest Tempe zeigt sich dankbar: Die beiden Frauen werden enge Freundinnen, sind bald unzertrennlich. Doch allmählich wird Phil misstrauisch: Etwas an der Geschichte der jungen Frau scheint nicht zu stimmen. Ist Tempe wirklich ein unschuldiges Opfer? Spätestens, als eine erste Leiche in Phils Umfeld auftaucht, weiß sie nicht mehr, wem sie trauen kann … [Text & Cover: © Goldmann]

In seiner Danksagung spricht Michael Robotham von der Herausforderung, hin und wieder abseits seiner beliebten Serien neue Figuren zu erkunden. Wie eine kleine Starthilfe teilt Philomena McCarthy, genannt Phil, ein biographisches Detail mit Cyrus Haven, einer bereits bekannten Figur des Autors. Die 27jährige Polizistin lebt mit ihrem Freund Henry, einem Feuerwehrmann, in London, die Hochzeit wird bereits eifrig geplant. Den Respekt unter ihren vorwiegend männlichen Kollegen erkämpft sie sich mit viel Ehrgeiz und einem hohen Rang in Karate. Ihr Ringen um Anerkennung ist familiär begründet: Ihr Vater ist ein Bauunternehmer, dessen Vermögen aus kriminellen Machenschaften stammt. 

‘Die Tochter eines Gangsters, die für die Met arbeitet. Das ist eine gute Story. Geldwäsche. Schutzgelderpressung, organisierte Kriminalität. Diebstahl. Das ist mal eine Familiengeschichte. Wissen Ihre Kollegen, wer Sie sind?’ Ich drehe mich um. ‘Wie haben Sie mich gefunden?’

‘Ich bin gut in meinem Job.’

‘Ich bin nicht wie mein Vater.’

‘Beweisen Sie es.’

Ausgangssituation ist ein polizeilicher Einsatz, bei dem Phil eine junge Frau namens Tempe aus dem Einfluss ihres gewalttätigen Liebhabers reißt. Pikanterweise ist dieser selbst ein Detective, der hohes Ansehen genießt. Tempe wird zu Phils Schatten, sickert in ihr Leben ein, macht sich langsam unentbehrlich. Die Dankbarkeit, auf der die wachsende Freundschaft der beiden Frauen gründet, wirkt von Beginn an vergiftet. 

Irgendetwas daran beschäftigt mich, und es ist nicht die Tatsache, dass Tempe sich selbst ins Haus gelassen und heimlich meine chaotischen Regale aufgeräumt hat. Ich sehe die Etiketten auf den Gläsern vor mir, jedes ordentlich kursiv von Hand beschrieben. Sie hat meine Handschrift imitiert. 

Michael Robotham zeichnet seine Figuren auffallend nuanciert

Er schickt sie durch zahlreiche unterschiedliche Situationen. Jede Figur ist von unterschiedlichen Absichten getrieben, jede Entscheidung schärft die Konturen und qualifiziert sie einmal mehr als Heldin, einmal mehr als Schurkin. Mit seiner Leidenschaft für die Charakterzeichnung nimmt der Autor den langen Weg durch die Handlung, wo sich manche Abkürzung anböte. Das Erzähltempo scheint an den Londoner Innenstadtverkehr zur Stoßzeit angelehnt. Dass Tempe etwas zu verbergen hat, ist offensichtlich. Doch was sind ihre wahren Motive? Wie gefährlich ist sie? Die permanente Ungewissheit sitzt beim Lesen im Nacken, aber rechtfertigt sie die Einordnung des Romans als Thriller? Jenes Ereignis, das die Spannung augenblicklich erhöht, tritt erst nach knapp 400 Seiten, etwa drei Viertel des Romans ein. 

“Wenn du mir gehörst” erzählt zwei verschiedene Geschichten. 

Zum einen ist da Tempe, die sich aus einem eigenwilligen Verständnis von Dankbarkeit in Philomenas Leben drängt und ihre unbestreitbar beste Freundin werden will. Was schmeichelhaft beginnt, wird schnell aufdringlich und nimmt schließlich gefährlich obsessive Züge an. 

Zum anderen erzählt Michael Robotham von seelischer und körperlicher Gewalt in Beziehungen und von Männerbünden in testosterondurchsetzten Berufen. Darren Goodall misshandelt sowohl seine Frau, als auch Tempe, seine Geliebte. Keine seiner Taten werden Konsequenzen haben, denn Goodalls ist in der Londoner Polizei bestens vernetzt. Sollte eine der beiden Frauen Anzeige erstatten, würde das Verfahren ergebnislos versanden.

Zusammengehalten werden die beiden Erzählstränge von der Rahmenhandlung der mit ihrem familiären Erbe hadernden Hauptfigur. Nicht nur Tempe, sondern auch der Ruf ihres Vaters als einflussreicher Krimineller machen Philomena beruflich und privat zu schaffen. Zur Abrundung ihrer charakterlichen Entwicklung muss sie schließlich seine Hilfe und die Methoden seines Metiers akzeptieren. 

Verbindung nicht ganz passgenau

Jede der beiden Geschichten ist untrennbar mit der Handlung um Philomena verbunden, nicht jedoch mit der jeweils anderen. Der Roman liefert keine schlüssige Erklärung, warum die Ereignisse um Tempe und jene um Goodall unbedingt miteinander erzählt werden müssen. Jede von ihnen wäre als Roman für sich wesentlich dichter, kompakter. Hintereinander veröffentlicht könnten sie sogar eine kurze Serie um Hauptfigur Philomena McCarthy bilden. In einem einzigen Roman laufen die beiden Geschichten Gefahr, sich gegenseitig zu verwässern. Dort, wo sie wieder zusammenfinden, wirkt die Verbindung nicht ganz passgenau. Andererseits ist diese Wirkung möglicherweise beabsichtigt. Robotham gelingt es nämlich, seine Figuren an dieser Stelle noch differenzierter zu zeichnen. 

Persönliches Fazit

“Wenn du mir gehörst” von Michael Robotham ist eine vielschichtige Geschichte über obsessive Freundschaft und toxische Beziehungen mit Machtgefälle. Obwohl in den Themen viel Thriller-Potential steckt, wirken sie wie auf kleiner Flamme zerkocht.

© Rezension: 2021, Wolfgang Brandner

Wenn du mir gehörst
Michael Robotham | Aus dem Englischen von Kristian Lutze
Thriller
Goldmann Verlag | ISBN: 978-3-442-31614-4
Dezember 2021
Paperback , Klappenbroschur
512 Seiten
www.penguinrandomhouse.de
0 comment

Lust zum stöbern und entdecken?

Schreibe uns Deine Meinung