Michaela Kastel | Kaltes Herz fast Eis

by Wolfgang Brandner
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Michaela Kastel - Kaltes Herz fast Eis - Rezension buecherkaffee.de

Michaela Kastel | Kaltes Herz fast Eis || Als ihr Verlobter Alex beim Bergsteigen in den Alpen unter ungeklärten Umständen ums Leben kommt, bricht für Caro eine Welt zusammen. Um mit seinem Tod abzuschließen, reist sie an den Ort, von dem aus Alex zu seiner riskanten letzten Tour aufgebrochen ist. Dort lernt sie Samuel kennen, der an der erfolglosen Rettungsmission beteiligt war. Nach und nach wird er ihr Vertrauter. Bis sie merkt, dass er ein tödliches Geheimnis vor ihr verbirgt.[Text & Cover: © Emons Verlag]

Caros Verlobter Alex ist bei einem Kletterunfall im alpinenen Gelände ums Leben gekommen. Weil sie dessen Faszination für die Berge und die mit ihnen verbundene Gefahr niemals nachvollziehen konnte, reist sie mit ihrem Bruder Ben nach Schirau, den Ausgangspunkt von Alex’ letzter Tour. Sie sucht nach den wahren Ereignissen hinter der nüchternen Worten der Sterbeanzeige, will selbst den Nervenkitzel im vierstelligen Höhenmeterbereich verspüren. Samuel Winterscheidt, ein weltberühmter Extremkletterer, kann ihr beides bieten …

Mit der geschilderten Ausgangssituation entwickelt sich die Handlung anhand der Spannungen und festgewachsenen Beziehungen zwischen den Figuren.
Caros Bruder Ben steckt mitten im Teenageralter und ergeht sich in bedinungsloser Heldenverehrung für Samuel Winterscheidt. Seine Aufgabe besteht darin, sowohl für Leser*innen als auch für seine Schwester den Sockel zu errichten, auf dem der Alpinist als lebendes Denkmal plaziert wird.

Samuel spielt neben Caro die zweite Hauptrolle und ist die am detailliertesten gezeichnete Figur des Romans. Sein Leben ist geprägt von einem traumatisierenden Ereignis in seiner Kindheit: Alleine im Wald umherstreifend, traf er auf einen Wolf. Auf der Flucht vor dem Raubtier, brach er in einem zugefrorenen See ein. Das stark unterkühlte Kind konnte gerettet werden, doch seither ist Samuel unempfindlich gegen Kälte. Selbst bei Temperaturen unter Null genügt ihm ein T-Shirt, und sein Innenleben gibt dem Roman seinen Titel. Er ist gefühlskalt, egozentrisch und lässt andere Menschen an einer eisigen Mauer abprallen.

Oliver ist Samuels älterer Bruder, der seit ihrer Kindheit in dessen Schatten lebt. Da Samuel sich immer schon als Liebling seiner Mitmenschen zu inszenieren wusste, wurde die geschwisterliche Rivalität nur selten offen ausgetragen, Oliver lernte bald, seine Aggression zu unterdrücken. Seit einem Kletterunfall sitzt er im Rollstuhl.

Jana ist mit den Brüdern aufgewachsen. Sie fungiert als Olivers Pflegerin und fühlt sich an die beiden gebunden. Seit Jahren schon schwärmt sie für Samuel, immer wieder muss sie sich jedoch gegen die Avancen Olivers abgrenzen.

Gemeinsam mit Oliver und Jana bewohnt Samuel das Anwesen ihrer verstorbenen Eltern. Als prominenter Alpinist kann er sich einige Angestellte für den Haushalt leisten. In der Zeit zwischen seinen Reisen ist Samuel ein einsamer König, dessen Hofstaat seinen Launen ausgesetzt ist. Keine Heizung darf betrieben werden, alle Fenster müssen geöffnet sein. Samuel zwingt seine eigene Kälte den Menschen in seiner Nähe auf. Obwohl bestens durchlüftet, ist das Haus wie ein verwunschenes Schloss von einer Atmosphäre schweren Trübsinns durchsetzt. Erst als Caro und Samuel einander näher kennenlernen und sie immer wieder zu Besuch ist, tauchen im Schwarzweißfilm vor dem geistigen Auge erste zaghafte Farbtupfer auf. Die Eiseskälte ist ein allgegenwärtiges Symbol, die Liebe als Heilmittel für gefrorene Herzen verleiht der Geschichte einen märchenhaften Glanz.

Im Verlauf der Erzählung verschiebt sich mehrmals das Zentrum der Aufmerksamkeit. Zu Beginn forscht Caro nach den genauen Umständen des Todes ihres Verlobten. Nachdem Caros Bruder Ben die Bühne verlassen hat (er muss zurück in die Schule), entwickelt sie ihre eigene Leidenschaft sowohl für das Hochgebirge, als auch für Samuel. Der egozentrische Alpinist trägt eine schwere Vergangenheit mit sich – ein dritter Schwerpunkt.

Diese drei fügen sich zu einer stimmigen Erzählkomposition, dennoch wirkt der Roman während des Lesens unsicher, was eigentlich der rote Faden, was Haupt- und was Nebenhandlung ist. Ist es Thriller um einen ungklärten Todesfall? Ist es die Geschichte einer Liebe unter schwierigen Voraussetzungen? Oder ist es ein modernes Märchen um einen verbitterten Abenteurer und dessen Erlösung? Auch die Autorin selbst war sich nicht sicher, welches Genre sie anpeilte, wie sie im Nachwort gesteht … um schließlich festzustellen: “Wohl von allem ein bisschen was …”

Persönliches Fazit:

Obwohl “Kaltes Herz fast Eis” von Michaela Kastel sich um Sport in extremem Gelände dreht, ist es es doch keiner jener Abenteuerromane, die Wert auf größtmögliche Authentizität legen. Bewusst belässt die Autorin entscheidende Unschärfen, ihr Augenmerk liegt auf der Erzählung ihrer Geschichte. Deren Motive wirken archetypisch, fast märchenhaft. Mit einem Todesfall unter ungeklärten Umständen und einer Beziehung unter schwierigen Umständen, tänzelt Michaela Kastel leichtfüßig zwischen den Genres.

© Rezension: 2022, Wolfgang Brandner

Blogtransparenz: unbezahlte Werbung; kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag – vielen Dank an den Emons Verlag.

Kaltes Herz fast Eis
Michaela Kastel
Emons Verlag | ISBN: 978-3-7408-1242-3
2022
Hardcover
352 Seiten
emons-verlag.de
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