Buchtipps-To-Go #5 | Der schnelle Weg, Buchperlen zu entdecken

by Alexandra Stiller
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Immer wieder möchten wir euch, kurz und prägnant zusammengefasst, Bücher vorstellen bzw. empfehlen, die wir sehr gerne gelesen haben und die für uns zu Buchperlen wurden. Unter dem Motto #Buchtippstogo erfahrt ihr zu einer kleinen Auswahl an Büchern, eBooks oder Hörbüchern unseren Eindruck bzw. unser persönliches Fazit. Das können Neuheiten auf dem Buchmarkt sein, aber auch immer wieder ältere Bücher, die wir vor einiger Zeit gelesen haben. Wir möchten dies nutzen, um auch Büchern abseits der Bestsellerlisten wieder ins Gespräch zu bringen. Außerdem gibt doch noch so viel Schätze in den Backlists zu entdecken. Vielleicht werdet auch ihr fündig?!

 

 

Ein anderes Brooklyn | Jaqueline Woodson

Ein anderes Brooklyn | Jaqueline Woodson

„Wo wären wir heute, wenn wir gewusst hätten, dass unser Wirren einer Melodie folgte? Denn obwohl Sylvia, Angela, Gigi und ich wie eine Jazzimpro zusammenkamen – halbe Noten, die sich zögernd aufeinander zubewegten, bis die Band ihren Sound fand und die Musik klang, als wäre sie schon Immer da gewesen -, hatten wir keinen Jazz, der uns zeigte, wer wir waren.“ 

EIN ANDERES BROOKLYN ist ein so starkes, intensives Buch, dass sehr an mir rüttelte, mich mitriss und mich nach der letzten Seite mit Herzklopfen zurück ließ. Ich habe das Buch zusammen mit @Literarischernerd gelesen und unser #buddyread war tatsächlich nach 3 Stunden schon zu Ende. Wir waren in einem regelrechten Flow! Seine Gedanken zum Buch solltet ihr auch unbedingt gleich lesen, sein Post dazu ist auch schon online! Und: bitte lest dieses Buch!

Schon nach den ersten Seiten spürte ich diese Vibrationen, die Melodie, den Rhythmus, den Jaqueline Woodson in ihren Schreibstil legt. Kurze Sätze, Absätze, kein Wort zu viel und keines zu wenig. Alles was gesagt werden musste, ist gesagt – der Rest ist offen, der Raum für das Ungesagte ist groß. Ich lese und denke, ich lausche einer Jazzkomposition. 

August reist nach Brooklyn, um der Beerdigung ihres Vaters beizuwohnen. Sie bekenntet ihrer Jugendfreundin Sylvia und Erinnerungen holen sie ein. Erinnerungen an eine Stadt, die ihr wie ein Stein im Bauch lag. August und ihr Bruder ziehen in junge Jahren zusammen mit dem Vater nach Brooklyn, die Mutter bleibt zurück. Das Brooklyn der 70er Jahre ist kein sicheres Pflaster und der Vater behält die Kinder im Haus. Die Geschwister betrachten das Leben durch das Zimmerfenster, distanziert, sie sind Zuschauer. Aber nach und nach dürfen sie raus, sich vortasten, sie lernen das Leben in Brooklyn kennen. August wächst im Freundinnenbund zur Jugendlichen heran, gemeinsam sind sie stark, sie lieben sich, sie haben Rasierklingen … 

Sie haben alle ihre Last zu tragen, kämpfen mit ihren Ängsten. Es sind die eigenen Erinnerungen, die belasten. Es sind die Erinnerungen der Eltern, die zur Bürde ihrer Kinder werden. „Erwachsene verheißen uns ihre eigene gescheiterte Zukunft“.  

Was bedeutete es für die Kinder, im Brooklyn dieser Zeit aufzuwachsen? Umgeben zu sein von Heroinabhängigen und von Hungrigen, die in den Schatten lauerten. Wo wird dieses Leben sie hinführen, wenn die Kindheit endet? Ein Buch, dass einen sehr nachdenklich zurücklässt. 

„Ich wusste, ich war verloren in der Welt, und versuchte zu begreifen, warum ich so oft das Gefühl hatte, knapp ausserhalb zu stehen – von allem.“ 

Buchinfo: Ein anderes Brooklyn | Jaqueline Woodson | Piper Verlag | >> Link zur Verlagsseite (Werbung/Verlinkung) 

 

Das Feld | Robert Seethaler

Das Feld | Robert Seethaler

“Die Wahrheit ist: Er war überzeugt davon, die Toten reden zu hören. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber er nahm ihre Stimmen ebenso deutlich wahr wie das Vogelgezwitscher und das Summen der Insekten um ihn herum. Er malte sich aus, wie es wäre, wenn jede der Stimmen noch einmal Gelegenheit bekäme, gehört zu werden.”

Robert Seethaler lässt die Toten in DAS FELD zu Wort kommen. Die verstorbenen Bewohner von Paulstadt blicken auf das Leben in ihrer kleinen Gemeinde zurück. Jeder hat etwas zu erzählen, jeder hat so seine Lebenserfahrungen gemacht. Ob es der Bürgermeister, die Blumenhändlerin, der Redakteur und Herausgeber des Paulstadter Boten , der Mechaniker oder der Dorfpfarrer ist – sie alle hatten ihre glücklichen und ihre traurigen Momente im Leben, hatten ihre Päckchen zu tragen. Liebe, Einsamkeit, Sehnsucht, Scheitern, Glück, gute und falsche Entscheidungen, Enttäuschung, Entbehrung, all die großen und kleinen Dramen des Lebens.

Wir werden zu Zuhörern, haben Teil an den Erinnerungen – wenn die Toten Bilanz ziehen aus ihrem Leben. 29 (30) Charaktere – und Seethaler schafft es, ihnen allen einen ganz eigenen Ton zu geben. Und je weiter man liest, desto mehr erschließen sich einem die Zusammenhänge, bekommt man verschiedene Blickwinkel auf das Leben im Dorf geliefert, da sich die Dorfbewohner natürlich untereinander kannten.

Unaufgeregt und äußerst ruhig kommt Das Feld daher. Natürlich passieren da Dinge im Dorf. Die Glaskuppel eines Freizeitzentrums vor der Stadt explodiert, der Pfarrer zündet die eigene Kirche an (… und sich selbst auch) uvm. Aber das alles ist passiert. Die Aufregung legt sich, das Vergessen setzt ein. Und am Ende wird es doch wieder ruhig im Dorf…

“Als Lebender über den Tod nachdenken. Als Toter vom Leben reden. Was soll das? Die einen verstehen vom anderen nichts. Es gibt Ahnungen. Und es gibt Erinnerungen. Beide können täuschen.”

Ich brauchte zwei Anläufe für diesen Roman. Beim ersten Versuch dachte ich: „Nein. Das geht gar nicht“. Beim zweiten Versuch (ich konnte doch nicht widerstehen) las ich es schwer begeistert am Stück durch. Aber es ist wahrlich nicht ganz einfach, den Zugang zu dieser Art des Erzählens zu finden. Und wem das nicht gelingen sollte – ich habe vollstes Verständnis.

Buchinfo: Das Feld | Robert Seethaler | Hanser Verlag | >> Link zur Verlagsseite (Werbung/Verlinkung) 

 

Die Ballade vom traurigen Café | Carson McCullers

Die Ballade vom traurigen Café | Carson McCullers

“Wie Kinder gern anderswo schlafen als daheim, so essen sie auch gern mal an eines Nachbarn Tisch, und bei solchen Gelegenheiten benehmen sie sich gesittet und sind sehr stolz. So waren auch die Leute aus der Stadt stolz, wenn sie an einem Tisch im Café saßen. Sie wuschen sich, ehe sie zu Miss Amelia gingen, und putzten sich vor dem Betreten des Cafés anständig die Schuhe ab. Dort im Café konnten sie wenigstens für ein paar Stunden die tiefe, bittere Erkenntnis vergessen, dass der Mensch in dieser Welt nicht viel wert ist.”

Ein kleines Städtchen im Süden der USA: Es gibt Baumwollfelder, es gibt eine große dazugehörige Spinnerei – aber es gibt nichts, wo man sich amüsieren, sich mit anderen treffen könnte. Bis Miss Amelia und ihr Vetter –scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht- plötzlich dieses Café eröffnen. Ein Ort, der die Menschen des Städtchens zusammenbringt. Eine Unterbrechung der Tristesse, der schier unerträglichen Einsamkeit, unter der sie schwermütig, jeder für sich, in diesem abgelegenen Städtchen leiden.

Ein Café, eine merkwürdige Dreiecksbeziehung und deren Zuschauer – mich begeisterte die exzellente Charakterisierung sehr. Es geht um die Einsamkeit und die große Schwierigkeit des Zusammenfindens. Um Hoffnung als auch um Hoffnungslosigkeit. Um Stolz, um Identitätssuche. Um unerwiderte Liebe, Fürsorge und Abhängigkeit. Um die Unfähigkeit zur Kommunikation (es gibt auch kaum Dialoge), wenn die Mauern der Isolation zu dick und zu hoch wurden…

Klar, bedachtsam, distanziert und ohne viel Emotionen geht es zu, es herrscht ein düster-melancholischer Grundton – aber dennoch zieht eine ganz unglaubliche poetische Anziehungskraft in den Bann, riss mich völlig mit! Ich war schlichtweg begeistert und gleichzeitig vollkommen erschüttert ob der Ausweglosigkeit der Dinge…

Und dann endet DIE BALLADE VOM TRAURIGEN CAFE mit diesem unglaublich (!) tiefsinnigen Abschlusskapitel… Eine ganz klare Leseempfehlung – ein sehr, sehr lohnenswerter Klassiker.

Buchinfo: Die Ballade vom traurigen Café | Carson McCullers | Diogenes Verlag | >> Link zur Verlagsseite (Werbung/Verlinkung) 

 

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