Nun ist „Farben der Nacht“ – das Debüt des georgischen Schriftstellers Davit Gabunia – im Buchhandel erhältlich. Endlich dürfen wir darüber sprechen!
[Werbung/Pressereise] Florian aka @Literarischernerd und ich fieberten diesem Buch von Davit Gabunia wirklich sehr entgegen. Warum? Im Mai besuchten wir im Zuge einer Pressereise, die von Georgia Made by Characters organisiert wurde, die Stadt Tiflis, um einen Einblick in die Kultur und die Literatur des Landes zu bekommen.
Georgien, das Land am Kaukasus, ist in diesem Jahr das Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse.
Und soviel sei jetzt schon verraten, wir dürfen uns auf großartige Autor*innen und ihre vielfältige Literatur freuen! Vieles ist im Umbruch in Georgien, das Land wird weltoffener und moderner, blickt nach vorne. Das ist ein langsamer Prozess, aber die Türen stehen offen. Der Auftritt auf der Buchmesse ist eine hervorragende Chance und ein weiterer Schritt nach vorne auf kultureller und literarischer Ebene.
Vieles, was diesem Land in der Vergangenheit widerfahren ist und die Menschen auch heute noch einnimmt, wird von den Autor*innen auf ganz unterschiedliche Weise verarbeitet. Mal ganz bewusst, mal auf sehr subtile Art.
Davit Gabunia bevorzugt in seinem Roman FARBEN DER NACHT den subtilen Weg.
Er zeigt nicht mit dem Finger darauf, sondern webt politische und sozialkritische Elemente gekonnt in seine Geschichte mit ein. Er lebt als Schriftsteller, Dramaturg und Übersetzer in Tiflis. Für das Theater übersetzte er Dramen von Shakespeare, Strindberg, Sarah Kane und andere zeitgenössische Autoren. Zweimal wurde er mit dem nationalen georgischen Theaterpreis Duruji ausgezeichnet, 2015 erhielt er den bedeutendsten georgischen Literaturpreis SABA für das beste Theaterstück.
Wir trafen ihn in Tiflis und kamen ins Gespräch, folglich natürlich auch zu seinem Romandebüt Farben der Nacht. In einer heissen Sommernacht, bei Cocktails in netter Runde, erfuhren wir so einiges über den Entstehungsprozess des Romans, die Geschichte dahinter. So spannend, weil auch persönliche Elemente verarbeitet wurden! Schließlich war Florian und mir klar; mit all diesem Background, der Reise, den Eindrücken – da ist ein #buddyread selbstverständlich. Und so startete wieder einmal mehr ein Lesesonntag der besonderen Art. Viele Notizen, viele Emotionen und ein ellenlanger Chat später klappten wir beide das Buch noch am gleichen Tag zu – und waren uns einig: Davit Gabunia hat hier ein bemerkenswertes Debüt vorgelegt!
Schon der Prolog ist ein Vorspiel auf das folgende Drama und zog uns sofort in seinen Bann. Ein Toter am Boden, ein Beobachter im Raum. Es baut sich folglich eine elektrisierende Spannung auf, wir konnten die Situation förmlich vor Augen sehen und spüren, was passierte. Gabunia bedient sich einer sehr bildhaften Sprache. Sein Protagonist, den wir zu dem Zeitpunkt erst erahnen, betrachtet mit fotografischem Blick die Leiche. Fast liebevoll, zart… Wir bekommen beide eine Gänsehaut. Und uns war klar, diesen intensiven Prolog müssen wir zum Ende des Buches gleich noch einmal lesen.
Um was geht es in FARBEN DER NACHT?
Um fünf Menschen auf der Suche nach dem Glück, der großen Chance, in Zeiten des Umbruchs. Surab, den arbeitslosen Vater, der sich um die Kinder kümmert, wenn sie aus der Schule zurück kommen. Der anfängt, mehr aus der eigenen inneren Unruhe und auch der Langeweile heraus, den neuen Nachbarn Schotiko zu beobachten. Heimlich, durch sein Wohnzimmerfenster. Der irgendwann sogar die Kamera auspackt und Fotos macht, als er sieht, dass besagter Nachbar in der Nacht regelmäßig Herrenbesuch bekommt. Denn dieser Herr ist Merab, ein hohes Tier im Sicherheitsministerium. Ein paar Fotos können da nicht schaden, man kann ja nie wissen, für was diese Bilder noch gut sein könnten. Doch das Beobachten wirkt wie eine Droge auf ihn. Schließlich fängt er an, sein Leben danach auszurichten, ständig mit dem Gefühl im Nacken, etwas zu verpassen. Was treibt Schotiko gerade? Ist er zuhause und wer ist zu Besuch? Verpasse ich womöglich gerade einen entscheidenden Moment? Die Lust am Betrachten wächst, das moralische Schuldbewusstsein meldet sich hin und wieder, aber das sind letztlich nur kurze, flüchtige Momente der Scham… Surabs Obsession, sein Drang zum Beobachten, ist deutlich spürbar. Seine Unruhe überträgt sich auf uns Leser, reisst mit. Florian schrieb: „Ich liebe das Setting und will mehr! sehen: wissen: erfahren“
„Ich habe weder diese Musik im Ohr, Amys Stimme, die irgendwie verrucht und gleichzeitig tragisch ist. Ich schiesse ein paar Bilder, dann gebe ich auf, es passiert nichts Interessantes mehr. Ich speichere die Fotos im Ordner und lege mich hin. I go back to black.“
Je intensiver Surab seinen Blick auf den Nachbar richtet, desto mehr verschließt er den Blick vor seinem eigenen Leben, vor dem, was in seinem unmittelbaren Umfeld passiert. Seine Frau Tina arbeitet hart, macht viele Überstunden. Als ein neuer Kollege, Nuri, anfängt, häufen sich diese vorgeblich noch mehr. Eine Affäre scheint unausweichlich…
Es ist vor allem Tinas Stimme, die uns beide regelrecht umhaut. Überschlagende Emotionen, Chaos – ein Gefühl wie in einer Achterbahn ohne Sicherung. Freier Fall … Ihre innere Erregung zeigt sich in den langen, aufputschenden Sätzen, die während des Lesens den Puls hochtreiben und das Herz schneller schlagen lassen. Selten riss mich persönlich eine Stimme so sehr mit. Florian gab dem Ganzen einen sehr bezeichnenden Titel: „Wie ein Fiebertraum“
[…] und wir stehen so nahe beieinander, dass ich ihn atmen höre, dabei ist er gar nicht ausser Atem, so nah steh er bei mir, dass ich seine Körperwärme spüre, und plötzlich küsst er mich auf den Hals, ohne ein Wort, und eigentlich müsste ich jetzt sagen, was machst du da, bist du wahnsinnig geworden, wenn uns jemand sieht, aber ich sage es nicht, ich vergesse jegliche Vorsicht und küsse ihn –
Jeder Protagonist hat seinen ganz eigenen charakteristischen Ton bekommen. Neben Tina und Surab kommen natürlich auch Merab, Nuri und Schotiko zu Wort. Wenige Worte und Taten bedarf es bei diesen Protagonisten, aber diese kurzen Einblenden haben dafür eine intensiven Einfluss auf das Geschehen, sorgen für drastische Wendungen.
All diese geschieht in Tiflis im heissen Sommer 2012. Wie eingangs schon erwähnt, webt Gabunia subtil politische Geschehnisse und sozialkritische Elemente mit ein. Neuwahlen stehen kurz bevor. Er greift auch den 21.September 2012 auf – ein Tag, an dem es in Tiflis zu massiven Protesten und Demonstrationen gegen die die Regierung von Präsident Micheil Saakaschwili kam. Kurz zuvor wurden Videos über katastrophale Missstände in georgischen Haftanstalten veröffentlicht. [Quelle: https://de.wikinews.org/wiki/Georgien:_Rücktritte_nach_Folterskandal] Davit Gabunia schickt seine Protagonistin Tina auf eben diese Demonstration, zusammen mit Nuri. Vieles verändert sich in dieser Nacht. Es kommt zum Umbruch und am kommenden Tag ist nichts mehr, wie es war … #fallingapart
„Er steht auf, erblickt im Spiegel die Blutspritzer in seinem Gesicht, und ihm wird bewusst, dass er ein anderer Mensch geworden ist. Er fährt sich mit dem Zeigefinger über die blutige Stirn. An diesem 21. September 2012 hat sich die Welt verändert und wird nie wieder sein wie zuvor. Auf gehts, an die Arbeit, denkt er.“
Ein herausragendes Debüt!
Florian und ich sind mit großen Erwartungen an dieses Buch herangegangen – und wir wurden in keiner Weise enttäuscht. Ein besonderes Buch, mit feinen Nuancen und Details und fantastisch ausgearbeiteten Charakteren. Eine vielschichtige und sehr authentische und Geschichte, die nachdenklich stimmt. Wie weit sind wir bereit zu gehen für unser persönlich definiertes Glück? für die Liebe? für DIE Chance, wenn sie sich uns anbietet?
Lest es! unbedingt! Und lasst euch hineinfallen in diese ganz flirrende Stimmung, die dort im heissen Tiflis herrscht.
Ein ganz persönlicher Zusatz:
Dieses georgische Buch, dass ihr auf dem Foto hier sehen könnt, ist das Original von „Farben der Nacht“ – so wie es im vergangenen Jahr in Georgien erschienen ist. Ich habe es vor einigen Tagen von Florian als Überraschungspost bekommen, die mich wahrlich zu Tränen rührte. Dieses Buch – mit persönlicher Widmung von Davit Gabunia – hat für mich ganz, ganz viel emotionalen Wert, weil ich sehr viel damit verbinde. Nicht nur unsere Reise im Speziellen, sondern auch sehr viele Gespräche und besondere Momente, dieses gemeinsame Lesen und, und, und…. Tausend Dank, auch nochmal hier, lieber Florian – und an Davit, für die Widmung, Svenja, Dodo und alle, die noch mit beigetragen haben!
VERANSTALTUNG / FRANKFURTER BUCHMESSE
12.10.2018 17.15 Uhr
Lesung ”Farben der Nacht”
LiteraturBahnhof zur Buchmesse Frankfurt – Gastlandstunde:
Haus des Buches
1. Stock
Brauchbachstr. 16
60311 Frankfurt
Der Eintritt ist frei
Roman
Rowohlt Verlag | ISBN: 978-3-7371-0041-0
21.08.2018
Gebunden
192 Seiten
www.rowohlt.de
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