Nachdem mich sowohl der Film wie auch das Buch von „Frühes Versprechen“ mitreißen konnte, war mir klar, dass ich mehr von Romain Gary (1914-1980) lesen werde. Die Neuauflage von „Die Jagd nach dem Blau“, die in Frankreich 1980 erstmals veröffentlicht wurde, war dafür eine gute Gelegenheit. Soviel gleich vorab: es hat sich sehr gelohnt, sie zu ergreifen!
Ludo ist gerade mal zehn Jahre alt, als er Lila erstmals begegnet und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Diese Liebe bildet den Rahmen um die Geschichte, die Ludo aus seiner Sicht erzählt. Sie stellt ihn vor einige Herausforderungen, vor allem, weil Lila mit ihrer Familie nur den Sommer in der Normandie verbringt. Sie sind polnische Adlige, was ihre Verbindung eigentlich von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Die ironischen Seitenhiebe, die Gary ihrem Stand gelegentlich angedeihen lässt, sind dabei amüsant und treffend.
Wir befinden uns in den 1930ern, in Deutschland hat ein gewisser Hitler das Sagen. Die Gefahr des Kriegsausbruchs wird immer konkreter. Wird Frankreich Polen beistehen und die Deutschen abwehren können? Gary baut immer weiter Spannung auf, denn mit dem Schicksal der Länder ist Ludos große Liebe verbunden. Mit Kriegsbeginn reißt die Verbindung zu Lila ab. Hat sie den Angriff überlebt? Wie soll er sie nur wiederfinden in einem Kontinent, der gerade mit Gewalt und Tod überzogen wird?
Der, der ihm immer beisteht, ist sein Onkel. Der verkörpert die beste Möglichkeit, mit den Widrigkeiten und Gefahren umzugehen: mit Fantasie und Hoffnung. Seine Drachen sind einerseits eine Kunstform, die auch die Nazis bald als latente Bedrohung sehen, andererseits sind sie ein Symbol für die Hoffnung, streben sie doch wie der Titel des Buchs so treffend sagt, einzig und unbeugsam nach dem Blau des Himmels. Ein Plädoyer für alle Träumer, für Ambroise aber auch ein Weg, auch unter fremder Besatzung er selbst zu bleiben und die französische Identität zu bewahren.
Immer werde ich das Bild in mir bewahren, wie dieser Unbeugsame in unserer gestreiften Häftlingskleidung, umgeben von ein paar menschlichen Wracks, die nur durch etwas völlig außerhalb jeder Körperlichkeit Liegendes am Leben gehalten wurden, mittels seiner Leine ein Schiff mit zwölf weißen Segeln lenkte, die über den Krematoriumsöfen und über den Köpfen unserer Peiniger flatterten. (S. 319)
Garys Roman wirkt auf mich sehr ausgereift. Wie er seine Charaktere in diese dramatische Zeit platziert und ausstattet zeigt sein schriftstellerisches Können. Ich hoffe, dass er beim Schreiben so viel Vergnügen hatte wie ich beim Lesen, das überträgt sich nämlich förmlich. Seine Fabulierfreude zeigt sich immer wieder und macht mir das Lesen zum Genuss. Am Ende hatte ich den Eindruck, ein sehr komplettes Buch gelesen zu haben, für mich ein echtes Highlight.
Persönliches Fazit
Romain Gary war ein außergewöhnlicher Schriftsteller. Das zeigt sich auch bei diesem Roman. Es ist einfach großartig, wie er das Leben des jungen Ludo vor und während der deutschen Besatzung in Frankreich von seiner großen Liebe umrahmt. Und das in einer ausgereiften Sprache, die ich sehr genossen habe. Ich bin sehr froh, dass dieses Buch neu aufgelegt wurde.
© Rezension: 2019, Marcus Kufner
Roman
Rotpunkt Verlag – ISBN: 978-3-85869-828-5
6.02.2019
Gebunden
376
www.rotpunktverlag.ch