Das Siebte | Tristan Garcia

by Marcus Kufner
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“Das Siebte” von Tristan Garcia

Es geschieht sieben Mal: Er stirbt und wird im selben Moment wieder geboren. Immer neu. Stets der Gleiche. Immer wieder kehrt der Ich-Erzähler nach dem Tod an den Anfangspunkt zurück, behält aber all seine früheren Leben in Erinnerung, alle Irrtümer und Erfolge. Jedes Mal muss er wieder neu laufen und sprechen lernen, warten, bis das Blut kommt, um dann nach Paris gebracht zu werden. Dort trifft er Fran, der ein Mittel zur Blutstillung besitzt, ihn stets aufs Neue erwartet, erkennt und begleitet. Wie alles andere auch ist diese Freundschaft sieben Mal gleich und doch grundverschieden. Sieben Mal liebt der Erzähler außerdem hingebungsvoll die gleiche, ja dieselbe Frau mit dem seltsamen Namen: Hardy. [© Text und Cover: Wagenbach Verlag]

 

Man kann nicht wirklich behaupten, dass das Konzept der Zeitschleife eine Neuentdeckung ist. Wenn sich allerdings Tristan Garcia, der mich mit seinem Roman „Faber. Der Zerstörer“ schon beeindrucken konnte, dieser Idee annimmt, ist mein Interesse geweckt.

Im Gegensatz zu der Verfilmung des Themas mit dem großartigen Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ endet die Schleife hier nicht bereits nach einem Tag. Der namenlose Ich-Erzähler hat ein ganzes Leben, bevor es wieder von vorne beginnt. Das bringt enorme Möglichkeiten mit sich. Während das Vorstellungsvermögen vieler Menschen nicht mal für ein Leben ausreicht, kann Garcia sich an seinem speziellen Protagonisten expotenziell austoben. Und das macht er auf sehr unterschiedliche Weise. Als französischer Autor nimmt er sich beispielsweise die Situation der Gesellschaft seines Heimatlandes vor. Einer, der schon weiß, was in der Zukunft passieren wird, kann doch bestimmt Einfluss darauf nehmen. Kann der Erzähler die Welt besser machen oder löst er eine Kette von Ereignissen aus, die er nicht kontrollieren kann? Es ist spannend, diese Möglichkeiten und die Auswirkungen zu verfolgen.

War ich als Unsterblicher geboren, wie ein Gott? War ich es geworden? Wann? Aus welchem Grund? Was hatte ich geleistet, um die Unsterblichkeit zu verdienen, und wer hatte sie mir verliehen? (S. 59)

Für den Erzähler sind die Wiederholungen nicht nur ein Segen. Es frustriert ihn, mit hunderten Jahren Lebenserfahrung wieder im Körper eines Säuglings zu starten, erst wieder sprechen und gehen lernen zu müssen. Vor allem aber, dass alles, was er im vorherigen Leben getan hat, wieder null und nichtig ist, deprimiert ihn. Was soll das Ganze denn? Muss er sich irgendwie dafür qualifizieren, um aus diesem Kreislauf rauszukommen? Aber wer sollte das denn bewerten? Und will er das denn überhaupt – Angst vor dem Tod kennt er ja nicht mehr. Dass es hierauf keine einfachen Antworten gibt, verleiht dem Erzähler eine enorme Tiefe. Es ist fast schon gruselig, was das mit seiner Psyche macht.

 

“Das Siebte” von Tristan Garcia

 

Der größte Vorteil, wenn man nochmal von vorne anfangen kann, ist, dass man aus seinen Fehlern lernen und das nächste Leben völlig neu gestalten kann. Das macht der Erzähler auch bei der Beziehung zu Hardy. Die Bindung zu ihr ist eine der wenigen Konstanten in seinen Leben, und doch gestaltet sich das jedes Mal anders. Generell entwickelt sich zwischen den drei Hauptcharakteren eine enorme Intensität. Eine solche Bandbreite von tiefster Verzweiflung bis zu purem Glück ist mir in der Literatur nur selten begegnet. Der Stil des Erzählers ist trotzdem eher nüchtern und ziemlich distanziert; da kommt kaum Empathie mit den Beteiligten auf.

Vereinzelte Themen behandelt Garcia für mein Empfinden etwas zu kurz. Allein aus der Fiktion Revolution und Bürgerkrieg hätte er sicher einen eigenen Roman machen können. Ein Abschweifen über hunderte Seiten wollte er aber bestimmt vermeiden. Trotzdem hat mich der Roman von Beginn an gefesselt. Die Jagd des Erzählers nach Erkenntnissen und Antworten war zu keiner Zeit langweilig. Auf seine eigene Art hat Tristan Garcia aus der Idee der Zeitschleife einen sehr lesenswerten Roman gemacht.

© Rezension: 2019, Marcus Kufner

 

Mehr von Tristan Garcia im Bücherkaffee:

Rezension: Faber. Der Zerstörer | Tristan Garcia

 

Weitere Stimmen zum Buch:

 

Das Siebte Book Cover Das Siebte
Tristan Garcia (Aus dem Französischen von Birgit Leib)
Roman
Wagenbach – ISBN: 978-3-8031-3315-1
22.08.2019
Gebunden
304
www.wagenbach.de
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