Rezension: Todesmal | Andreas Gruber

by Wolfgang Brandner
...

Eine geheimnisvolle Nonne betritt das BKA-Gebäude in Wiesbaden und kündigt an, in den nächsten 7 Tagen 7 Morde zu begehen. Über alles Weitere will sie nur mit dem Profiler Maarten S. Sneijder sprechen. Doch der hat gerade gekündigt, und so befragt Sneijders Kollegin Sabine Nemez die Nonne. Aber die schweigt beharrlich – und der erste Mord passiert. Jetzt hat sie auch Sneijders Aufmerksamkeit. Und während die Nonne in U-Haft sitzt, werden Sneijder und Nemez Opfer eines raffinierten Plans, der gnadenlos ein Menschleben nach dem anderen fordert und dessen Ursprung in einer grausamen, dunklen Vergangenheit liegt … [Text & Cover: © der Hörverlag]

“Je näher man dem Wahnsinn kommt, desto besser versteht man die Wirklichkeit”

Die gute Nachricht für Fans von Andreas Gruber: Maarten S. Sneijder ist wieder da.
Nun, zumindest nicht von Anfang an.
Wenn wir uns kurz zurückerinnen: Am Ende des des letzten Bandes, “Todesreigen“, hat der exzentrische Fallanalytiker beim BKA in Wiesbaden seine Kündigung eingereicht. Sabine Nemez, seine begabteste Schülerin, ist inzwischen selbst in der Ausbildung hoffnungsvoller Jungkriminalisten tätig … als eine Nonne in voller Ordenstracht auftaucht und sieben Morde ankündigt. Da sie nur mit Sneijder selbst sprechen will, muss dieser mit sehr vielen Zugeständnissen aus seiner Pension geködert werden. Der Fall selbst bringt sein Team und stärker als zuvor auch die Leser in ein moralisches Dilemma nach dem anderen.

Der österreichische Autor Andreas Gruber ist mit seinem mittlerweile fünften Band der Reihe um Maarten S. Sneijder wieder in erzählerischer Höchstform und verwöhnt seine wachsende Leserschar mit Hochspannung. Neben den bewährten kapitelweisen Cliffhangern und Rückblenden, die stückweise die Zusammenhänge erhellen, fesselt er vor allem mit einer morbiden Faszination für Serienmörder. Ein solcher Täter verfolgt ein bestimmtes Ziel, zu dessen Erreichung er sich seine eigenen Regeln definiert. Wer diese Regeln versteht, hat theoretisch die Möglichkeit, dem Täter einen Schritt voraus zu sein. Dazu kommt der permanente Zeitdruck für die Ermittler, da es nicht nur Morde aufzuklären, sondern vor allem Morde zu verhindern gilt. Im konkreten Fall soll an sieben Tagen je ein Mensch den Tod finden, die Uhr beginnt also jeden Tag auf’s Neue zu ticken. Die mythologisch bedeutsame Zahl Sieben und ihr Bezug zur Religion wirkt außerdem wie eine Starthilfe für den Roman, um die Aufmerksamkeit der Leser unmittelbar und kompromisslos anzuheizen. Dazu passt die Schlange als Covermotiv. Sie ist ein hervorragender Blickfang, taucht aber im Roman selbst nur flüchtig als biblisches Symbol menschlicher Schwäche auf.

Mit diesem neuen Band setzt setzt Andreas Gruber die in den letzten Teilen der “Todes”-Serie beobachtete Entwicklung seiner Hauptfigur fort. Maarten S. Sneijder wird mit jeder Begegnung zugänglicher. Zwar gibt er sich für Außenstehende immer noch als der unnahbare, besserwisserische Misanthrop, der mit Leidenschaft seine Mitmenschen beleidigt.

“Ein Gespräch mit Sneijder im Sitzen war kaum möglich. Entweder sprach man mit ihm in Rekordzeit und unter Verzicht auf jeglichen Smalltalk, oder es wurde so emotional, dass die Fetzen flogen. Einen Mittelweg gab es selten.” (Position 07:15 im Hörbuch)

Für seine engeren Bekannten jedoch – und dazu dürfen sich inzwischen auch die Leser zählen – wirkt er nahezu kumpelhaft und lässt auch hinter seine abweisende Fassade blicken. Zwar leidet er immer noch unter seinen Kopfschmerzen, doch traktiert er seine Umwelt immer seltener mit der barschen Forderung, die Kommunikation auf drei Sätze zu beschränken. In ausgewählten Momenten erlaubt der Autor auch einen flüchtigen Blick auf das Innenleben der Figur und den Lesern, an einzlenen Gedankengängen Sneijders teilzuhaben, was die Distanz noch weiter verringert. Immerhin ist dieser Fall auch für den niederländischen Profiler fordernd genug, um mit zunehmender Dauer die Strapazen erkennen zu lassen.

Mit Sneijders Forderung nach einer ihm unterstellten speziellen Taskforce setzt der Autor nicht nur einen Gedanken aus dem Vorgängerband fort, sondern formt bereits bekannte Figuren zu einem gedanklich und räumlich agilen Team. Für besonders knifflige Kriminalfälle – wie eben auch den vorliegenden – fordert Sneijder alle notwendigen Befugnisse, um grenzüberschreitend agieren und sich über bürokratische und rechtliche Einschränkungen hinwegsetzen zu können. Aber an welche Regeln soll dieses Team denn dann gebunden sein, und wer soll deren Einhaltung sicherstellen?

Die zwingend daraus entstehende Frage, welcher Zweck welche Mittel heiligt, bildet das zentrale Thema des Romans:
Der Stein wird von einer Nonne ins Rollen gebracht, die an einer Justiz gescheitert ist, in der ausreichende Finanzkraft es ermöglicht, sich von seiner Schuld freizukaufen. Daher beschließt sie, durch Morde an sieben ausgewählten Personen ein lange zurückliegendes Verbrechen zu sühnen. Gleichzeitig gibt sie jedoch Sneijder und seinem Team die Chance, diese Morde zu verhinden und dem Fall jene Öffentlichkeit zu verschaffen, der er in ihren Augen verdient.

Wie schlimm darf ein Verbrechen sein, damit Vergeltung dafür gerechtfertigt ist?

Wer legt deren Ausmaß fest, und wer vollstreckt das Urteil?

Ist es gegebenenfalls gerechtfertigt, auf eigene Faust für Gerechtigkeit zu sorgen, wenn es niemand sonst tut?

Sowohl die einzelnen Figuren, als auch die Leser werden immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert und auf eine Gewissensprobe gestellt. Der Autor packt ganz bewusst immer schwerere Gewichte in die Schuld-Waagschale der Widersacher der Nonne. Jedem einzelnen Mord der einen Seite stellt er einen vielfachen Mord auf der anderen Seite gegenüber … wenn auch dieses Stilmittel zweilen plakativ wirkt. Indem Gruber seine Leser in der moralischen Grauzone gefangen hält, setzt er sie der Versuchung aus, das eigene Empfinden über das Gesetz zu stellen. Auf Seiten der Ermittler wirft Sneijder durch sein Vorgehen die Frage auf, in welchem Verhältnis Verbrechen und die Methoden zu seiner Aufklärung stehen dürfen: Sind verschärfte Haftbedingungen oder gar Folter zulässig, um einen Mord zu verhindern? Darf ein scheinbar kleineres Verbrechen begangen werden, um ein größeres aufzuklären?

Als wollte der Autor seinen Lesern die Akzeptanz fragwürdiger Mittel abringen, erhöht er wie ein harter Verhandler schrittweise sein Angebot. Die sieben Morde, die der Geschichte ihre Struktur verleihen, werden dabei auf seiner Seite des Tisches aufgereiht. Der gesamte Fall der serienmordenden Nonne setzt sich somit aus sieben Einzelfällen zusammen. Jeder von ihnen ist wiederum in einem spezifischen verbrecherischen Themenfeld angesiedelt:
Ein Mord ohne erkennbaren Zusammenhang führt zu osteuropäischen Menschenhändlern. Von dort führt die Spur zu Missbrauchsfällen in einem katholischen Internat, zu Verstrickungen in die Politik und schließlich zu illegalen Experimenten an Neugeborenen durch einen medizinischen Konzern.

In der Wahrnehmung wiegt jedes Verbrechen mehr als das vorherige, womit zugleich Zeitdruck und Spannung unerbittlich steigen. Dieser Struktur des Romans lässt zwei Sichtweisen zu : Einerseits wird das sogenannte Böse in seinen zahlreichen Facetten als eine vielköpfige, nicht ausrottbare Hydra dargestellt. Andererseits könnte man dem Autor unterstellen, in seinem Bemühen, einen möglichst herausfordernden Fall für Maarten S. Sneijder zu konstruieren, diesen durch die zahlreichen Aspekte zu verwässern. Jeder der Fälle hat das Potential, im Zentrum eines eigenen Romans zu stehen. Durch die Aneinanderreihung läuft jeder von ihnen Gefahr, die Schwere des Vorgängers zu relativieren.

Schließlich werden die Ermittler mit einem ultimativen Gegner konfrontiert, der alle Grausamkeiten auf sich vereinigt. Dieser präsentiert sich als ein gesichtsloser Komplex aus Spitzenpolitik, Pharmakologie und internationaler Wirtschaftsmacht. Keiner der drei ist im Rennen um öffentliche Sympathiewerte Spitzenplätzen zu finden. Gerade die Pharmakologie ist ein besonders sensibler Industriezweig, dessen Erzeugnisse buchstäblich unter die Haut gehen und die Intimsphäre verletzen. In der Kompetenz eines solchen Gegners liegt es, durch unverständliche chemische Prozesse Geist und Körper zu manipulieren. Im Verbund mit Politk und Finanzkapital stehen Macht und Möglichkeiten in nahezu unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung. Außerdem ist er keine natürliche, sondern eine juristische Person, wodurch die einzelnen Beteiligten wie in einem Schwarm agieren und die Verantwortung abstrahiert wird.

Persönliches Fazit

Ein Fall wie gemacht für Gruber-Fans: Die Lieblingsfigur Maarten S. Sneijder ermittelt in einem kniffligen Fall, dessen Spannung sich stufenweise steigert. Einzig der Facettenreichtum dieses Falls wirkt zeitweise überladen.

© Rezension: 2019, Wolfgang Brandner

 

Weitere Meinungen zu “Todesfall” von Andreas Gruber

Todesmal
Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez 5 Thriller
Andreas Gruber
Thriller
der Hörverlag | ISBN: 978-3-8445-3325-5
2019
Hörbuch Download, Laufzeit: 14 Stunden 19 Minuten
1 comment

Lust zum stöbern und entdecken?

1 comment

Herta’s Buchtipps – Burgkirchen liest 3. November 2020 - 9:55

[…] Todesmal […]

Reply

Schreibe uns Deine Meinung