Mit seinem Roman „Ein Festtag“ hat mich Graham Swift zuletzt sehr beeindruckt. Was er da an Dramaturgie und Atmosphäre aufgebaut hat, war schon sehr beachtlich. In der Hoffnung, dass er das auch in seinem neuen Buch schaffen würde, habe ich mich mit gespannter Erwartung an sein neues Werk gemacht.
Im Zentrum des Geschehens stehen zwei Männer und eine Frau, die, wie sollte es anders sein, von beiden begehrt wird. Wir befinden uns im englischen Seebad Brighton im Jahr 1959. In einem Varieté am Pier direkt über dem Wasser tritt der Zauberer Ronnie auf, unterstützt von seiner attraktiven Assistentin Evie. Die beiden sind nicht nur ein Team auf der Bühne, sie sind sogar schon verlobt und wollen nach der Saison heiraten. Der dritte im Bunde ist Jack, der gekonnt und charmant durchs Programm führt. Ein Typ, bei dem viele Frauen schwach werden. Bei ihm kann man sich kaum vorstellen, dass er eine ernste Beziehung eingehen würde. Dass diese Saison für die Beteiligten nicht so zu Ende gehen wird wie geplant, kann man sich denken, sonst gäbe es ja nichts zu berichten. Swift erfindet das Rad nicht wirklich neu, wenn er von dieser Dreierkonstellation erzählt. Er versteht es allerdings, daraus auf seine Art eine fesselnde Dramaturgie zu entwickeln. Damit ich deren Wirkung nicht gleich aufhebe, werde ich hier natürlich nicht verraten was genau zwischen den dreien passiert.
Die schönsten Jahre
In Zeitsprüngen erfahren wir mehr über die Hauptpersonen. Da geht es mal fünfzig Jahre in die Zukunft, in der Evie auf ihr Leben zurückblickt. Es geht aber auch zurück in Ronnies Kindheit. Als Achtjähriger wird er von seiner Mutter wie viele andere Kinder im Jahr 1939 raus aus London aufs Land zu Pflegeeltern geschickt, um ihn vor den deutschen Bomben zu schützen. Diese Abschnitte sind sehr intensiv und die stärksten des Buchs. Wie Swift den Konflikt des jungen Ronnies ausarbeitet, dass er es in dem liebevollen Heim von den Lawrences so viel besser hat, als daheim, ist grandios. Er verbringt dort die schönsten Jahre seines noch jungen Lebens und wünscht sich deshalb sogar, dass der Krieg möglichst lange dauern wird, damit er nicht zurück zu seiner Mutter muss.
In Evergrene war nicht einfach nur »alles in Ordnung«, es war fantastisch. Aber das zu sagen, hätte seine Mutter (das spürte er deutlich) kränken können, außerdem lag es nicht in seinem Interesse zu erklären, dass er ein Leben im Luxus führte. (S. 42)
Graham Swift zeigt auch bei diesem Roman wieder, dass er ein toller Erzähler ist. Wie er sich in seine Protagonisten hineinversetzt und ihre Befindlichkeiten transportiert, sucht seines gleichen. Stilmittel wie der das Cover bestimmende Papagei als roter Faden und der ausgereifte Plot zeugen von seinem literarischen Feinschliff. Auch wenn er es mit seinen Einschüben manchmal etwas übertreibt, ist auch seine sprachliche Konstruktion sehr gekonnt. Meine nicht gerade geringen Erwartungen an „Da sind wir“ hat er damit jedenfalls vollauf erfüllt.
© Rezension: 2020, Marcus Kufner
Weitere Stimmen zum Buch:
Roman
dtv | ISBN: 978-3-423-28220-8
13.03.2020
Gebunden
160
www.dtv.de
2 comments
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