Jennifer B. Wind | Die Maske der Schuld

by Wolfgang Brandner
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Ein Richard-Schwarz-Thriller – Teil 2

Jennifer B. Wind - Die Maske der Schuld - Rezension - Bücherkaffee

Jennifer B. Wind | Die Maske der Schuld || Eine Leiche mit schrecklichen Verletzungen an Körper und Schädel wird aus der Donau gefischt. Richard Schwarz vom LKA kennt den Toten: Jan Dorn, ein schwer erkrankter ehemaliger Polizeikollege. Die Ermittlungen führen ihn in Jans Selbsthilfegruppe, in der mit jedem neuen Medikament der Pharmaindustrie Hoffnungen geweckt werden. Die Angst vor dem Tod ist ein grausames Spiel mit Versuchsstudien und Wunderheilern.Entschlossen setzt Richard alles daran, dem perfiden Treiben ein Ende zu bereiten. Doch ein Geheimnis aus seiner eigenen Vergangenheit kommt ans Licht und wirft Schatten auf den aktuellen Fall. Entsetzt muss Richard feststellen, dass der Mörder ihm stets einen Schritt voraus ist. [Text & Cover: Edition M]

Der zweite Teil der Richard Schwarz-Reihe beginnt mit einer Abfolge von Bildern. Der schnelle Schnitt wirft die Leser direkt ins Geschehen, die filmische Dramaturgie ist eine bequeme Brücke für die cineastisch geschulte Aufmerksamkeit, die vom Bewegtbild zur verbalen Erzählung führt. Mitten im Roman angekommen, dürfen sich Kenner des Krimi-Genres an einem vertrauten Schema orientieren: Auf den Leichenfund folgt die obligate Feststellung der Todesursache in der Gerichtsmedizin, gefolgt von gründlichen Recherchen im sozialen und privaten Umfeld des Mordopfers, schließlich die Aufklärung und zufriedenes Schulterklopfen.

Allein, bei der Ausgestaltung des aus dem Hauptabend bekannten Mördersuch-Schemas bleibt Jennifer B. Wind eigenwillig. Für die Hauptfigur, den Ermittler Richard Schwarz, ist etwa der Besuch in der Pathologie mit erotischen Phantasien verbunden. Die Polizeiarbeit wird genutzt, um die sachlichen Schwerpunkte des Romans zu setzen, und anstelle allgemeiner Erleichterung wird mit einem Cliffhanger eine Fortsetzung angekündigt. Immer wieder eingeschobene kapitelweise Perspektivenwechsel lenken die Aufmerksamkeit auf eine an Multipler Sklerose erkrankte Frau und die Vorgeschichte von Richard Schwarz. Erstere, Dagmar Thaler, leidet sowohl an ihren eingeschränkten motorischen Fähigkeiten, als auch an der Reaktion ihres Ehemannes auf die Krankheit. Der junge Richard erzählt in der ersten Person, eine Perspektive, die wie ein Verstärker für die Schmerzen einer unheilbar verwundeten Kinderseele wirkt.

Jene Leser, die bereits den ersten Teil angespannt durchlebt haben, werden sich über ein Wiedersehen mit bekannten Figuren freuen. Deren Rollen sind allerdings unterschiedlich gewichtet, wie in einem Orchester, in dem der Einsatz der unterschiedlichen Instrumente vom aufgeführten Stück abhängt.

Naturgemäß im Zentrum steht Richard Schwarz (dessen Namen auch die Serie trägt). Sein Leben ist von jenem Tag geprägt, als seine Mutter ermordet und die Hälfte seines Gesichts mit kochendem Wasser verbrüht wurde. Analog zum Batman-Antagonisten Harvey Two-Face spiegelt sich Richards Dualität nicht nur in seinem Antlitz, sondern auch in seiner Biographie: Von einer Zirkusfamilie aufgenommen, tritt er in der Manege als “Mister Domino”, der Zweigesichtige auf. Vom seinem Schwur nach Vergeltung getrieben, arbeitet er zudem als Mordermittler. Wo im ersten Teil der Reihe sein beruflicher Spagat seine Persönlichkeit prägte, handelt nun Richards persönliche Geschichte von der Suche nach seiner Vergangenheit, seiner Herkunft, dem Mörder seiner Mutter.

Richards Schwester Sarah, im ersten Teil Opfer einer Entführung, ist nun mit übermäßig engagierten Tierschutzaktivisten konfrontiert. Gerichtsmedizinerin Emily McSand, zuvor noch sachlich distanziert, treibt inmitten von kalten Körpern und morbidem Medizinwissen Richards amouröse Vorstellungskraft zu Höchstleistungen. Sein Sidekick Paul Marek muss dafür einerseits mit einem offenen Ohr und unbedingter Loyalität Richards seelische Ausgeglichenheit wiederherstellen. Andererseits ist er bedingt durch seine spanischen Wurzeln damit beschäftigt, das Stereotyp des Latin Lovers zu widerlegen. In einer Nebenrolle tritt auch der mit ausgeprägtem Mitteilungsbedürfnis überzeichnete Poldi Böcklinger wieder auf.

Erinnern wir uns an Theres Lend. Die Psychotherapeutin leidet an einer schweren Krankheit, die sie erblinden lassen wird und weckte im ersten Teil Richards romantisches Interesse. Wenn sie diesmal auch nur an den Rändern des Romans in Erscheinung tritt, kommt ihr als zweiter herausragenden Figur eine besondere Funktion zu: Sie ist die Klammer, die den Zusammenhalt des mittleren Teils zur übergeordneten Geschichte sicherstellt. Sie eröffnet mit einem offenen Schluss das Finale.

Jennifer B. Wind ist eine Technikerin, die aufmerksam dem gesellschaftlichen Motor lauscht und an dessen Klang jene Teile aufspürt, die Abnutzungserscheinungen aufweisen. In ihren Romanen lenkt sie die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf genau jene Stellen. Diesmal ist es die Krankheit Multiple Sklerose mit ihren Erscheinungsformen, ihren Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen und ihrer pflegenden Angehörigen. Daneben blickt die Autorin auf die ethischen Grenzen  der medizinischen und pharmazeutischen Forschung. Unter welchen Auflagen und Voraussetzungen werden Experimente an menschlichen Probanden durchgeführt? Und was, wenn ein Mediziner um jeden Preis die Möglichkeiten seiner Kunst erweitern will – und dabei scheitert? (Mit dieser speziellen Figur gelingt es nicht immer, das Klischee des größenwahnsinnigen Wissenschafters zu vermeiden.) Bedingt durch die Verbindung der Hauptfigur zum Zirkus widmet sich die Autorin auch dieser Branche, die sich seit dem Wildtierverbot neu erfinden muss. Der Blick bleibt dabei nüchtern, der Zirkus wird eher als wirtschaftliches Unternehmen, denn als magisches Reich dargestellt.

Jeder der thematischen Schwerpunkte wird aus seiner schützenden tabellarischen Abstraktion ausgepackt und anhand einzelner Personen und Situationen nachvollziehbar, nachfühlbar, als unmittelbar vorstellbar den Lesern vor Augen geführt.

In ihrem für einen Krimi ungewöhnlich ausführlichen Nachwort lüftet Jennifer B. Wind  den Vorhang ein kleines Stück und erläutert die Entstehung ihrer Hauptfigur Richard Schwarz. Sie weist auf die genannten sachlichen Schwerpunkte hin und gewährt interessante Einblicke in ihre Recherchen. Sei es die beruflich unklare Situation von Zirkusartisten, die Entwicklung der Kriminalität in Österreich oder der Verlauf der Multiplen Sklerose – Jennifer Wind unterstreicht mit peniblen Recherchen die Bedeutung der unterschiedlichen Anliegen. Das statistische Zahlenmaterial ist im Nachwort an der richtigen Stelle angesiedelt, sodass trotz der dichten sachlichen Information im Roman die Magie der erzählerischen Manege erhalten bleibt.

Persönliches Fazit

In seinem zweiten Fall beschäftigt sich der Artisten und Mordermittler Richard Schwarz mit einem Fall im Umfeld medizinischer Forschung. Die Maske der Schuld von Jennifer B. Wind wartet mit skurrilen Momenten auf und sensibilisiert für Themen am Rand der allgemeinen Aufmerksamkeit.

© Rezension: 2020, Wolfgang Brandner

 

Besprechung zu Teil 1 – Die Maske der Gewalt

Jennifer B. Wind | Die Maske der Gewalt. Ein Richard-Schwarz-Thriller

Die Maske der Schuld
Ein Richard-Schwarz-Thriller - Teil 2
Jennifer B. Wind
Thriller
Edition M. | ISBN: 978-2919804153
2020
Taschenbuch, 474 Seiten
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