Teil 1 einer Mini-Serie zum unbekannten und vergessenen Widerstand
Eine Geschichte von Rettung und Widerstand im Nationalsozialismus
Eine Betrachtung zu diesem Buch kann nur mit einem Dank an den Autor Mark Roseman beginnen – denn es ist sein großer Verdienst, die Mitglieder des Bundes aus dem Dunkel der Geschichte des deutschen Widerstands geholt zu haben und ihnen zumindest heute etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn weder in den großen Überblicksdarstellungen zum Widerstand noch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand findet diese Gruppe Erwähnung – einzige Ausnahme ist Günter Weisenborns „Der lautlose Aufstand“.
Zusammenhalt von Beginn an
Der Bund war schon bei seiner Gründung kein loser Zusammenschluss, sondern eine Gruppe mit klaren Zielen und teilweise schon fast sektenartige Strukturen, die auch in das Privatleben eingriffen. Selbst heute sind von den neun Gründungsmitgliedern unter Leitung von Arthur Jacobs nur sieben namentlich bekannt. Aber das sozialistisches Denken, das Ziel der Selbstverbesserung des einzelnen, die komplette Geisteshaltung des Bundes musste ihn konsequenterweise sofort in eine Abwehrhaltung gegenüber dem neuen Regime bringen – allerdings verlor die Gruppe nach der Machtübernahme über die Hälfte seiner Mitglieder, nur etwas weniger als 100 verblieben, darunter viele Juden und insgesamt viele Frauen (Arthur Jacobs Frau war Jüdin, die nur Dank Ihrer Ehe mit einem Nicht-Juden überlebte, der Sohn wurde schon früh in die Niederlande geschickt, da er sonst den Rassegesetzen zum Opfer gefallen wäre).
Widerstand ohne aufzufallen
Direkt ab 1933 begann die Gruppe mit ihrer Hilfe für die verfolgten und verfemten Menschen und führte diese fast die gesamten 12 Jahre der NS-Zeit weiter. Wie viel Mut brauchte es, in der Reichskristallnacht durch den jubelnden Pöbel mit einem Blumenstrauß in das Haus eines jüdischen Ehepaars zu gehen oder offen auf der Post Pakete in Ghettos und sogar nach Auschwitz zu schicken. Und wie viel Halt gab das den unterstützten Menschen! Die Zahl derer, die dem Bund tatsächlich ihr Leben verdanken, die im Untergrund durch seine Hilfe überlebten, lässt sich heute nicht mehr feststellen – aber jeder einzelne Gerettete zählt! Dabei traten nach außen die handelnden Personen immer als Individuum auf, um die Gruppe nicht zu gefährden und Arthur Jacobs hat aus demselben Grund ganz bewusst Abstand genommen vor spektakulären, aber gefährlichen Aktionen wie z.B. dem Verteilen von Flugblättern.
Doch gerade das führte zu den schwierigsten Fragen jedes einzelnen Mitglieds: Wie weit passt man sich an, um nicht aufzufallen? Gehen die eigenen Kinder in die HJ oder man selbst zur Wehrmacht? Arthur Jacobs hat gerade in diesem Konflikt seine größte Motivation für sich gesehen: Helfen, um die eigene Schuld zu begleichen; die Schuld, als in Deutschland-Gebliebener immer Teil des Systems zu sein und es damit auch immer in irgendeiner Art zu erhalten.
Manchmal war der einzige Weg, mit dem Elend der Welt fertig zu werden, anderen die Hand zu reichen und ihnen zu helfen.
Ein zeitloser Satz, dessen Kernaussage gerade auch in unserer Zeit wichtiger denn je wird.
Enttäuschte Hoffnungen nach 1945
Sozialistisch, zum Schein angepasst und teilweise sogar integriert in die Strukturen – all das führte dazu, dass die Mitglieder des Bundes nach 1945 als Widerstandsgruppe nicht wirklich anerkannt wurden und wenn überhaupt nur nach oft jahrelangen Auseinandersetzungen zu Entschädigungszahlungen kamen. Selbst in Yad Vashem wurden erst 2005 einige Mitglieder geehrt, der Gründer und Kopf Arthur Jacobs nicht.
Mehr als nur eine Geschichte
Schon allein die Schilderung dieser Geschichte reicht für ein bemerkenswertes Buch – aber Mark Rosemans Untersuchung bietet viel mehr – und das macht dieses Buch wirklich außergewöhnlich. Denn er geht anhand der Geschichte des Bundes allgemeinen Fragen zum Widerstand und zur historischen Methode im Umgang mit Zeitzeugnissen nach.
Für diese Gruppe gibt es eine fast einzigartige Quellensituation, da es viele zeitgenössische Selbstzeugnisse gibt (Tagebücher, Briefe…), aber auch Aufzeichnungen nach dem Krieg und v.a. Interviews mit dem Autor. All dies hat Mark Roseman verglichen, die Unterschiede in den zeitlich auseinanderliegenden Aussagen herausgearbeitet und wahrscheinliche oder sogar beweisbare Gründe dafür gefunden. Dieser „Kontrast zwischen den Erfahrungen des Bundes und seinen nachträglichen Erinnerungen“ ist ein zentrales Thema des Buches ebenso wie die am Beispiel des Bundes exemplarisch gezeigten Konsequenzen und inneren Konflikten durch die Anpassung an das System.
Darüber hinaus bietet das Buch einen hervorragenden Überblick über die sich in der Gesellschaft und Geschichtsschreibung nach 1945 entstehenden Definitionen von Widerstand. So galt lange nicht als Widerstand, was ohne den Versuch des Sturzes des Regimes agierte, ohne „als tollkühn bewertete Aktionen wie das Verteilen von Flugblättern“ (314). „Echter“ Widerstand musste Verurteilte und Märtyrer vorweisen können, doch niemand vom Bund verlor aufgrund seiner Tätigkeit sein Leben und der sogenannte „Rettungswiderstand“ erlangte erst in den 80er-Jahren wirklich Anerkennung.
Womöglich fehlt uns die geeignete Kategorie, die dieser intensiven, reflektierten Kultivierung eines gemeinschaftlich geteilten Raumes entspricht. Sie war mehr als bloßer Nonkonformismus, doch weniger als ein aktiver Kampf gegen das Regime. (S. 338)
Persönliches Fazit
Die Kombination aus der Darstellung einer bisher völlig unbekannten Widerstandsgruppe mit den Erörterungen allgemeiner Fragen am Beispiel des Einzelfalls ist in der Form außergewöhnlich und sehr selten. Es zeigt sich wieder einmal, dass britische und US-amerikanische Historiker Sachbücher schreiben können, die ohne trocken zu wirken, wissenschaftlich in die Tiefe gehen.
@ Rezension: 2020, Jürgen Fottner
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Europäische Geschichte
DVA Verlag | ISBN 978-3-421-04752-6
2020
Hardcover mit Schutzumschlag
447 Seiten
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