Komplett überarbeitete Neuausgabe
Wer waren die Frauen an der Seite der Nazigrößen oder in ihrem direkten Umfeld? Acht Namen, acht unterschiedliche Geschichten, die aber alle viele Gemeinsamkeiten haben: Carin und Emmy Göring, Magda Goebbels, Leni Riefenstahl, Gertrud Scholtz-Klink, Geli Raubal, Eva Braun, Henriette von Schirach
Die Frau im Nationalsozialismus
Die Autorin stellt den acht Biografien ein übergreifendes Kapitel voran mit dem Titel „Hitler und die ‚deutsche Frau‘“. Darin zeigt sie in knapper Form die Grundzüge der nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik (im Kern ging es immer nur um möglichst viele Kinder, selbst wenn diese unehelich waren), Hitlers ambivalentes Frauenbild, aber auch die Bedeutung von Frauen für seinen Werdegang – Frauen, die ihn vor 1933 finanziell unterstützt hatten oder z. B. Helene Hanfstaengel, die ihn 1923 von einem Selbstmordversuch abhielt. Vor allem aber dient dieses Kapitel Anna Maria Sigmund dazu, kurze Informationen über wichtige weibliche Protagonisten der Zeit, die nicht zu den acht ausführlich untersuchten gehören, zusammenzufassen. Hier tauchen z.B. Helene Bechstein, Viktoria von Dirksen, Unity Mitford, Winifred Wagner, Gerda Bormann u.a. auf. Einige davon werden dann in zwei weiteren Büchern der Autorin näher beschrieben. Schon dieses Kapitel zeigt einen Grundzug des Nationalsozialismus und Hitlers, der sich dann wie in vielen anderen (v.a. moderneren) Untersuchungen zu dieser Zeit auch in den acht Biografien zeigt: Das System und die Ideologie waren bei weiten nicht so geschlossen, so einheitlich wie man teilweise bis heute denkt und wie die Nazis selbst unter Leitung eines fanatischen Propagandaministers die Bevölkerung glauben machen wollten.
Heimchen am Herd, deutsche Mutter oder selbstbewusste Persönlichkeit?
Keine der acht Frauen entsprach dem Frauenbild der zu Hause sitzenden Mutter. Auch wenn einige von ihnen tatsächlich viele Kinder zur Welt brachte (z.B. Magda Goebbels), waren sie alle eigenständige Persönlichkeiten, die auch in Entscheidungen eingriffen und sich in der Öffentlichkeit präsentierten – und das weit über das bloße schmückende Repräsentierende hinaus. Dabei verkündeten gerade Hitler und Goebbels, dass der Platz der Frau nicht in der Öffentlichkeit sei, und dass sie vor allem im politischen Leben nichts zu suchen hätten. Dagegen zeigen die Tagebücher von Josef Goebbels eindrücklich, wie Magda Goebbels – nach außen einer der Vorzeigefrauen des Systems – für Frauenrechte eintrat.
Tatsächlich hat dem NS-Frauenideal niemand weniger entsprochen als die Frauen, Gefährtinnen und Freundinnen der führenden Nazis. (S. 41)
Es gelingt Anna Maria Sigmund hervorragend, diese Diskrepanz in acht Biografien sehr unterschiedlicher Frauen zu spiegeln. Dabei ist auch die Auswahl sehr stimmig, denn es sind eben nicht nur Ehefrauen oder Gefährtinnen nationalsozialistischer Führungsfiguren dabei (insgesamt fünf), sondern auch mit Leni Riefenstahl die als erfolgreiche Künstlerin wahrscheinlich unabhängigste und eigenständigste Frau der NS-Zeit und mit Getrud Scholtz-Klink eine der wenigen Frauen in der NS-Führungsebene. Bei ihr war der Widerspruch besonders groß: Als NS-Reichsfrauenführerin und Mutter von insgesamt 11 eigenen und angeheirateten Kindern propagierte sie massiv das Frauenbild der Zeit, widersprach ihm aber schon allein deshalb, da sie in der Öffentlichkeit politisch tätig war. Dennoch zeigt sich an ihr, dass die Männer der Bewegung diese Abweichung auch nie zu weit gehen ließen, denn Getrud Scholtz-Klink hat keine weitreichende Kompetenzen erhalten und konnte sich in Kompetenzstreitigkeiten mit Robert Ley und Baldur von Schirach nie durchsetzen.
Und dann war da noch Geli Raubal, Hitlers Nichte. Über die Beziehung zu ihrem Onkel gab es schon damals unzählige Gerüchte, sie hatte in seiner Wohnung ein eigenes Zimmer (mit 21 Jahren) und ihre Hochzeit mit seinem Chauffeur und Vertrauten verhinderte Hitler. 1931 beging sie Selbstmord, was die Gerüchteküche erst recht anheizte. Aber Anna Maria Sigmund bleibt auch hier wie im gesamten Buch sachlich, widerlegt die Gerüchte und gibt neuen keinen Raum.
Kampf um Gleichberechtigung?
Haben diese Biografien, diese bewusste Abkehr vom NS- Frauenideal etwas Feministisches? Die acht Porträts zeigen ganz klar, dass dies nicht der Fall ist, denn es waren fast ausnahmslos egoistische Motive, ein Kampf um eigene Rechte, nicht um die Rechte der Frauen generell. Und man darf nie vergessen, dass all diese Frauen ein System widerspruchslos und teilweise fanatisch unterstützten und somit am Leben hielten, das menschenverachtend, rassistisch, mörderisch war und das in seiner Gesamtheit in Bezug auf die Geschlechterrollen alles tat, Frauen in die politische Bedeutungslosigkeit zu drängen.
Dabei ist die am meisten verstörende Biografie für mich die von Magda Goebbels:
Magdas glühender, unkritischer Enthusiasmus für den Nationalsozialismus und ihr Hitlerkult sollten sogar den ihres Verlobten in den Schatten stellen. (S. 158)
Kalt, berechnend und fanatisch – es zeichnet sich in der Forschung und auch in diesem Buch mehr und mehr ab, dass die fünf Kinder hätten in Sicherheit gebracht werden können und dass sie (wohl sogar gegen den eigenen Mann) durchgesetzt hat, dass dies nicht geschah und alle sterben mussten.
Fazit: Basis für den nächsten Schritt
Eine Frage stellt sich einem bei der Lektüre dieser acht Biografien: Warum haben all diese Frauen mehr oder weniger stark dem vom Regime und von ihnen selbst propagierten Frauenideal widersprochen? Gibt es dafür unterschiedliche, in der jeweiligen persönlichen Geschichte liegende Gründe oder aber gibt es eine Klammer, die alle diese Abweichungen verbindet? Diese Frage beantwortet Anna Maria Sigmund nicht – das kann sie aufgrund der Länge und des Aufbaus des Buches vielleicht auch gar nicht. Um sich aber einer Antwort auf diese Frage zu nähern, braucht es fundierte Informationen, sachliche Lebensläufe, befreit von Vermutungen, Gerüchten und voyeuristischen Details – also genau solche Untersuchungen, wie die vorliegende. Ohne sorgfältige Vorbereitungen sind weiterführende Studien nicht möglich.
© Rezension: 2020, Jürgen Fottner
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Biografien
Heyne Verlag | ISBN 978-3-453-60261-8
2013, 3. Auflage
Taschenbuch, Broschur,
431 Seiten