Eigentlich könnte die titelgebende Geschichte ja für sich allein stehen. Sie ist dicht und detailreich genug, um von ihren 122 Seiten auf ein genretypisches Maß erweitert oder wie etwa der letzte Kurz-Thriller von Roman Klementovic unverändert veröffentlicht werden zu können. Der norwegische Autor Jo Nesbø gibt seiner Erzählung allerdings noch sechs weitere mit auf den Weg zu Leserinnen und Lesern. Damit wird auch der Titel der Anthologie mehrdeutig: “Eifersucht” bezeichnet nicht mehr nur die umfangreichste Geschichte, sondern ist auch der rote Faden, der sich durch alle anderen zieht.
Jo Nesbø wird dieses Mal international
Aber zunächst zum zentralen Teil der Sammlung: Der Athener Ermittler Nikos Balli, selbst eine verwundete Seele, verfügt über ein nahezu übernatürliches Gespür für Eifersucht. Wann immer sie ihre destruktive Macht für einen Mord entfaltet, Balli erkennt es. Für einen delikaten Fall wird er auf die Insel Kalymnos gerufen. Ein deutscher Tourist auf Kletter-Urlaub ist nach dem morgendlichen Schwimmen nicht mehr zurückgekommen. In der Nacht zuvor hat er sich noch mit seinem Bruder um eine Einheimische gestritten, in die beide verliebt sind. Jo Nesbø wird dieses Mal international. Seine Hauptfigur ist von mediterranem Klima geprägt, der Kontrast der griechischen zur deutschen Mentalität ist geradezu plakativ. Auffallend symbolisch ist auch das Klettern. Die Leidenschaft für die Bewegung in der Vertikalen teilt der Ermittler mit seinem Hauptverdächtigen. Wie in einer Partnerschaft ist auch in einer Seilschaft das gegenseitige Vertrauen essentiell. Wenn der Zweifel den Fels, an dem man sich festhält, unterspült und brüchig werden lässt, ist der Absturz unausweichlich.
Niemand ist vor der Eifersucht gefeit
Jo Nesbø demonstriert in seinem aktuellen Buch die zahlreichen Facetten der Eifersucht und damit auch gleich, dass sein erzählerisches Repertoire sich nicht auf kauzige Norweger beschränkt. Seine Protagonisten sind ein reisender Auftragsmörder, die Verkäuferin in einer Bahnhofstrafik, ein mittelloser Fotograf, ein impulsiver Müllmann, ein eitler Schriftsteller und ein vom Leben ernüchterter Taxifahrer. Niemand ist vor der Eifersucht gefeit, sie tritt ungeachtet der Herkunft oder der sozialen Position auf. Sie wird begleitet von Machtrausch und Ohnmacht, entsteht aus Verzweiflung und Rivalität, lässt die Tat kühl und akribisch planen oder im Affekt morden, zielt auf das eigene Glück oder manchmal auf eine bessere Welt ab.
Eine scharfe Satire auf den literarischen Betrieb
Unscheinbar hinter der Hauptgeschichte des Bandes versteckt und doch auf eigene Art exponiert wirkt “Odd”. Als einzige der Geschichten lässt sie die Hauptfigur nicht in erster Person erzählen, sondern begleitet ihn von einer nüchternen Erzählinstanz. Odd ist ein eitler, selbstverliebter Schriftsteller, der sich an seiner eigenen Exzentrik weidet. Mit wachsender Verzweiflung versucht der Verlag, seine Launen als Facetten eines genialen Geistes zu vermarkten. Jo Nesbø wagt sich an eine scharfe Satire auf den literarischen Betrieb, in der vielleicht auch ein Stück Selbstkritik verpackt ist.
Wenn aber Sophie, seine Lektorin, alles gelesen und sein Autoren-Ego so lange massiert hatte, dass er ihr schließlich glaubte, dass es nichts weniger als ein literarisches Verbrechen sei, diese Texte seinen Lesern vorzuenthalten, blieb ihm nur noch die Möglichkeit, die Augen zu schließen, sich zitternd in seinem Hotelzimmer zu betrinken und es darauf ankommen zu lassen. (S. 207)
Persönliches Fazit:
Die Kurzgeschichten-Sammlung des bekannten Norwegers Jo Nesbø ist ein kunstvoll arrangiertes literarisches Bouquet zum Thema Eifersucht mit einer raffinierten Thriller-Novelle als Blickfang.
© Rezension: 2021, Wolfgang Brandner
Thriller
Ullstein Buchverlage | ISBN: 978-3-550-20152-3
2021
Hardcover mit Schutzumschlag
272 Seiten