[#BayBuch] Archipel | Inger-Maria Mahlke

by Marcus Kufner
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Nominiert zum Bayerischen Buchpreis 2018

Archipel

“Archipel” von Inger-Maria Mahlke

Julio, el portero, war nicht immer der Pförtner. Doch heute, mit über neunzig Jahren, hütet er die Türen im Asilo, dem Altenheim von La Laguna. Von ihm und von denen, die seinen Weg kreuzten, von dem, was sie liebten, flohen oder gesucht haben, auf der Insel und im Leben, erzählt dieser Roman. Er führt in die Tiefen des vergangenen Jahrhunderts, ein Jahrhundert mit vielen Gesichtern. Und es zeigt sich noch heute viel Gestern darin. [© Text und Cover: Rowohlt Verlag]

 

Nach Töchter von Lucy Fricke ist „Archipel“ der zweite Kandidat für den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Belletristik auf meiner Liste. Der Titel wurde schon mit dem Deutschen Buchpreis gekürt. Da ist es gar nicht so einfach, ihn unbefangen und ohne übertriebene Erwartungen anzugehen.

Kurz gesagt ist „Archipel“ ein Familienroman, der auf Teneriffa spielt. Wir lernen den 95jährigen Julio kennen, seine Tochter Ana, eine Politikerin in Schwierigkeiten, und die Enkelin Rosa, die ihr Kunststudium in Madrid aufgegeben hat und auf die Insel zurückgekommen ist. Interessanter Stoff, der auch einige Seiten füllt, bis das Besondere dieses Romans beginnt: wir reisen Stück für Stück in der Zeit zurück, meist in Sprüngen von sechs bis sieben Jahren. Als roter Faden dient die Lebensspanne von Julio, von 2015 geht es in rund einem Dutzend Schritten zurück bis ins Jahr 1919, als seine Mutter mit ihm schwanger war. Es ist ein faszinierendes Spiel mit den handelnden Personen; manche verschwinden, weil sie in der neuen Zeitebene noch nicht geboren waren, andere wiederum stehen quasi von den Toten auf. Das funktioniert tatsächlich gut und ist nicht nur ein Gimmick, das mit Biegen und Brechen umgesetzt werden muss.

 

Archipel

“Archipel” von Inger-Maria Mahlke

 

Inger-Maria Mahlke belässt vieles bei Andeutungen. Es ist eher selten, dass sie etwas klar und nüchtern erzählt. Wenn beispielsweise das Wort „Schlaganfall“ zu banal klingt, dann liest sich das so:

Hast du später Zeit, ich muss mit dir reden, will sie fragen und schließt jedes Mal den Mund wieder. Hat das Gespräch so lange aufgeschoben, bis im Herbst ein Pfropfen geronnenes Blut ihren Vater in zwei Hälften teilt. Eine bewegliche und eine unbewegliche, die herabhängt. (S. 344)

Es hat etwas gedauert, bis ich mich an diesen kunstfertigen Schreibstil gewöhnt hatte, dann hat mir der besondere Blick auf die Vorgänge allerdings richtig gut gefallen. Die Stimmungen und Bilder, die die Autorin damit hervorruft, sind sehr eindringlich. Ein Pageturner ist das Buch allerdings nicht, da musste ich schon einiges an Aufmerksamkeit investieren.

Das betrifft im Besonderen die politischen Vorgänge, die in die Familienangelegenheiten eingebunden sind. Dass sich für die Bevölkerung einiges geändert hat, als Franco an die Macht kam, und wiederum als diese Ära endete, kann ich nachvollziehen. Da ich in der Geschichte Spaniens und konkreter der der Kanarischen Inseln kaum bewandert bin, habe ich aber hin und wieder das Gefühl, dass mir etwas entgeht. Eine kleine Hilfe dabei ist das Glossar am Ende des Buchs, das einige der verwendeten spanischen Begriffe erläutert. Trotzdem bleibt mir ein Teil fremd.

 

Archipel

“Archipel” von Inger-Maria Mahlke

 

Ist „Archipel“ ein preiswürdiger Roman?

Zweifellos. Die Zeitreise funktioniert richtig gut und verbindet ein umfassendes Panorama der letzten hundert Jahre mit den einzelnen Schicksalen der Familienmitglieder. Dass mir die faszinierende Sprache, der besondere Blickwinkel und die oftmals nur angedeuteten Zusammenhänge das Lesen nicht einfach machen, gestehe ich einem literarischen Werk gerne zu. Lediglich das fremde Setting lässt mich mit dem einen oder anderen Fragezeichen zurück und bremst meine Begeisterung.

© Rezension: 2018, Marcus Kufner

 

Infos zum Bayerischen Buchpreis und zu allen nominierten Titeln gibt es hier auf dem Blog oder unter bayerischer-buchpreis.de.

 

Die Autorin:

Inger-Maria Mahlke wuchs in Lübeck und auf Teneriffa auf, studierte Rechtswissenschaften an der FU Berlin und arbeitete dort am Lehrstuhl für Kriminologie. 2009 gewann sie den Berliner Open Mike. Ihr Debütroman “Silberfischchen” wurde ein Jahr später mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis ausgezeichnet. Für einen Auszug aus ihrem Roman “Rechnung” offen bekam sie beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis den Ernst-Willner-Preis zugesprochen; 2014 erhielt sie den Karl-Arnold-Preis der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

 

Archipel Book Cover Archipel
Inger-Maria Mahlke
Roman
Rowohlt – ISBN: 978-3-498-04224-0
21.08.2018
Gebunden
432
www.rowohlt.de
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Archipel von Inger Maria-Mahlke | Lovely Mix 15. November 2018 - 7:01

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