[#BayBuch] Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929 | Wolfram Eilenberger

by Marcus Kufner
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Nominiert zum Bayerischen Buchpreis 2018

Zeit der Zauberer

“Zeit der Zauberer” von Wolfram Eilenberger

 

Die Jahre 1919 bis 1929 markieren eine Epoche unvergleichlicher geistiger Kreativität, in der Gedanken zum ersten Mal gedacht wurden, ohne die das Leben und Denken in unserer Gegenwart nicht dasselbe wäre. Die großen Philosophen Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger prägten diese Epoche und ließen die deutsche Sprache ein letztes Mal vor der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs zur Sprache des Geistes werden. [© Text und Cover: Klett-Cotta Verlag]

 

Nach “Opfer” von Svenja Goltermann ist „Zeit der Zauberer“ der zweite Kandidat für den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Sachbuch, mit dem ich mich beschäftigt habe. Als interessierter Laie hoffte ich darauf, dass es mir einen verständlichen Zugang zum Wirken und Denken der vier großen Philosophen jener Zeit ermöglichen würde. Soviel vorab: Mit dieser Erwartung lag ich genau richtig.

Wolfram Eilenberger hat sein Buch chronologisch aufgebaut. Nach einem Prolog starten wir im Jahr 1919. Wir begleiten vier Männer, die sich aufmachen, die Philosophie auf einen neuen Level zu heben. Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger sind nicht nur charakterlich sehr unterschiedliche Personen, sie sind auch unterschiedlich erfolgreich. Während es beispielsweise Ernst Cassirer bis zum Rektor der Hamburger Universität schafft, bemüht sich Walter Benjamin viele Jahre lang umsonst um eine Stelle. Der Wert seiner Schriften wurde damals noch nicht erkannt. Mit der Verbindung zu den richtigen Leuten schafft es Martin Heidegger wiederum recht schnell, Aufmerksamkeit zu erlangen.

Eilenberger verbindet drei Elemente in seinem Buch: die Biografien der vier Denker, einiges ihrer philosophischen Ideen und das politische und gesellschaftliche Geschehen in Deutschland jener Zeit. Das Fesselndste dabei war für mich, viel über das Leben der vier zu erfahren. Dass Wittgenstein zum Beispiel auf sein beträchtliches Erbe verzichtet hat, um als bescheidener Grundschullehrer zu arbeiten, erscheint mir zunächst ziemlich verrückt. Für ihn machte das aber scheinbar Sinn. Spannend ist es auch, den Weg Benjamins zu verfolgen, der von einer Pleite in die andere schlitterte, dabei aber einiges sah von der Welt. Interessant fand ich auch, welchen Einfluss die private Situation auf den Fokus ihrer Arbeit hatte. Der Zustand der Ehe oder eine leidenschaftliche Affäre konnten durchaus das Thema bestimmen, mit dem sich der Philosoph beschäftigte. Sehr gut verdeutlicht wird das durch einige Briefe, die einen sehr persönlichen Eindruck wiedergeben.

 

Zeit der Zauberer

“Zeit der Zauberer” von Wolfram Eilenberger

 

Wesentlich für die Arbeit der vier waren auch die politischen Umstände. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren die Deutschen dabei, ihre Verluste zu verarbeiten. Nicht nur die vielen Toten und Verwundeten, auch die wirtschaftlichen Folgen waren eine enorme Belastung. Die junge Weimarer Republik war überfordert, viele Menschen hungerten. Arbeitslosigkeit, eine galoppierende Inflation bis hin zur Wirtschaftskrise – die Dekade, die im Buch geschildert wird, war eine sehr unruhige. Welchen Einfluss das auf das Leben und Arbeiten der Philosophen hatte, wird hier sehr gut veranschaulicht.

Was sicherlich nicht einfach ist, ist das philosophische Werk der vier zu vermitteln. Wenn schon Wittgenstein selbst davon ausgeht, dass es kaum einen Menschen gibt, der sein Buch versteht, ist klar, dass seine Philosophie nichts für Anfänger ist. Wolfram Eilenberger beschreibt die Thesen in einer sehr zugänglichen Sprache, gestützt durch einige Zitate. Manche Abschnitte musste ich als Laie aber trotzdem zweimal lesen, um den Gedanken seines Schöpfers nachvollziehen zu können. Da ich mich generell für Philosophie interessiere, ist „Zeit der Zauberer“ für mich ein sehr wertvolles Buch, das mit einer enormen Fülle an Informationen und Wissen aufwartet.

 

Ist Wolfram Eilenbergers Buch ein würdiger Kandidat für den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Sachbuch?

Von mir ein klares Ja. Es sind nicht nur reichlich Informationen, die der Autor zusammengetragen hat, er hat auch den Kontext zwischen den philosophischen Werken, den Biografien und dem Zeitgeschehen anschaulich dargestellt und vor allem einen gut verständlichen Zugang dazu geschaffen.

Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929 Book Cover Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929
Wolfram Eilenberger
Sachbuch
Klett-Cotta – ISBN: 978-3-608-94763-2
10.03.2018
Gebunden
431
www.klett-cotta.de
4 comments

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[#BayBuch] Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929 | Wolfram Eilenberger — Buecherkaffee.de | Wolfsblog 26. Oktober 2018 - 21:18

[…] […]

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Marius 29. Oktober 2018 - 17:49

Diesem Buch rechne ich große Chancen zu, dass es das Rennen machen wird, ist es doch in meinen Augen auch das Zugänglichste unter den drei Sachbuchtiteln. Ich bin sehr gespannt!

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Marcus vom Bücherkaffee 29. Oktober 2018 - 18:57

Hallo Marius,
das sehe ich auch so. Ich könnte sehr gut damit leben, wenn Wolfram Eilenberger den Preis bekäme. Mal abwarten, wie das die Jury sieht.

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„Zeit der Zauberer“ von Wolfram Eilenberger | Schreibblogg.de 6. August 2019 - 14:06

[…] Bücherkaffee […]

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