Rezension: Brandstifter | Martin Krist

by Wolfgang Brandner
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Cover Thriller - Martin Krist - Brandstifter

Martin Krist | BRANDSTIFTER || Sie haben deinen Ehemann brutal ermordet – jetzt bedrohen sie deine Kinder!Wie weit wird die junge Witwe Valentina gehen, um ihre Familie zu beschützen? Problemlöser David Gross soll den Feuertod einer jungen Frau aufklären und gerät dabei selbst in lebensgefährliche Ermittlungen. Doch die Sorge um seine eigene Familie lenkt ihn bald mehr ab, als ihm lieb ist … [Text & Cover: © R&K, Martin Krist]

Neben seiner Serie um Kommissar Kalkbrenner widmet sich Martin Krist auch einer etwas weniger offiziellen Form der literarischen Verbrechensaufklärung. Nachdem Markus Kühn als Undercover-Polizist die russische Mafia gegen sich aufgebracht hat, musste er eine neue Identität annehmen. Als David Gross fördert er für einen befreundeten Anwalt jene Aspekte eines Falles zutage, die sich nicht durch Akteneinsicht eruieren lassen – ein Geschäftsmodell, das vom “Fall für zwei” bekannt ist. Und wie bei seinem Pendant Josef Matula gehört das Verbandszeug ebenso zum Arbeitsgerät wie die Kamera.

David schleppte sich zu seinem Wagen. Er brauchte keinen Arzt. Er brauchte Antworten. (S. 203)

Neben seinem durch unregelmäßige Dienstzeiten geprägten Beruf beeinträchtigen vor allem die Sorge um seine entführte Frau und seinen traumatisierten, in Betreuung untergebrachten Sohn, Davids Nachtruhe. Seinem erzählerischen Instinkt folgend, flicht Martin Krist auch diesmal wieder drei Handlungsfäden zu einem reißfesten Seil. Die Figuren wirken, obwohl neu eingeführt, in ihren Grundzügen aus anderen Romanen des Autors in einer Weise vertraut, die eher wie die abermalige Verwendung einer Schablone in neuem Kontext, denn als Ausdruck persönlichen Stils wirkt.

Parallelen in Charakterzeichnung und Handlungsverlauf

Valentina beispielsweise ist eine aufopferungsvolle Mutter, die in der Sorge um ihre Familie über sich hinaus wächst und Übermenschliches vollbringt. Nachdem ihr ermordeter Mann in dubiose Machenschaften verwickelt ist, wird sie unfreiwillig von dessen Geschäftspartnern zu seiner Rechtsnachfolgerin (mit allen Schulden) erkoren. Valentina nimmt auf eigene Faust den Kampf gegen das organisierte Verbrechen auf. Parallelen in Charakterzeichnung und Handlungsverlauf zu Julia in ENGELSGLEICH (die ihr Leben für die Suche nach ihrer verschwundenen Adoptivtochter aufgibt) und Hannah in DRECKSSPIEL (die mit ihrer Tochter entführt wird und ein Martyrium erduldet) sind erkennbar. Martin Krist zeichnet diese Figuren und die Hingabe an ihre jeweilige Aufgabe schärfer als viele der übrigen, sie wirken wie unter einer emotionalen Linse.

Die Großstadt Berlin – Martin Krists Markenzeichen

Luka hingegen, ein gescheiterter Student, schließt von der mühelos zu bewältigenden ersten Etappe des kriminellen Weges auf die gesamte Strecke und gerät zwischen die Mühlen weitaus potenterer Kräfte. In seiner naiven Straßenganoven-Mentalität und der dauerhaften Suche nach dem eigenen kurzfristigen Vorteil ist er damit ein Gegenentwurf zu Valentina und gleicht Figuren wie Mick in ENGELSGLEICH und Pedro in DRECKSSPIEL.

Neben den parallelen Handlungen und den gegensätzlichen Figuren gehört auch die Großstadt Berlin, die als Ort des Geschehens beinahe eigene Wesenszüge entwickelt, zu den Markenzeichen Martin Krists. Eine Fahrt auf der Stadtautobahn mit den vor den Fenstern vorbeifliegenden Häuserzügen wirkt wie eine düstere Sightseeing-Tour durch touristisch wenig verwertbare Viertel. Dennoch wirkt die Atmosphäre des urbanen Biotops diesmal weniger dicht, schwerer greifbar, als hätte das Krist-Berlin sich mit einer Rolle als Kulisse abgefunden.

Der Sound der Zeit

Mit der immer irgendwo im Hintergrund zu vernehmenden Musik nutzt der Autor jedoch ein zusätzliches Mittel, seiner Geschichte einen eigenen Puls zu verleihen. (Im Interesse des Lese-Erlebnisses empfiehlt es sich, den musikalischen Empfehlungen so oft wie möglich zu folgen.) Zuweilen wünscht man sich, David möge endlich den Klingelton seines Mobiltelefons ändern, andererseits konserviert dieses “Flieg, flieg, fahr aus der Haut” von Silly genau wie der Roman selbst den Moment unbestimmten Brodelns unter der Oberfläche, kurz bevor die Spannung sich entlädt, die Schale aufbricht. Mobiltelefone selbst scheinen diesmal zwei Funktionen zu erfüllen: Zum einen verschwinden sie zuverlässig im ungünstigsten Moment im Fußbereich eines Autos, zum anderen pflegt David die irritierende Angewohnheit, Anrufe wegzudrücken – die weniger lässig wirkt als sie wohl intendiert ist.

Melancholische Noir-Dramaturgie

Nach einem Auftakt, in dem die Figuren noch orientierungslos wirken, schält sich aus den kurzen Kapiteln mit offenen Enden und konsequentem Wechsel der Perspektiven eine melancholische Noir-Dramaturgie hervor. Moralisch integre Menschen geraten mit der pechartig-klebrigen Verkommenheit des Verbrechens in Berührung. Jeder Versuch, es abzuwaschen, verteilt es nur noch weiter auf der Haut. Womit immer es auch in Berührung kommt, wird korrumpiert, auf dem unerbittlichen Weg abwärts ist jeder Hoffnungsschimmer trügerisch und hohl.

Ich werde nicht aufhören, nach Mama zu suchen.

Davids gedankliches Gelübde vor seinem Sohn, ist wie ein Mantra für ihn, das ihn trotz aller Widrigkeiten antreibt. Und dennoch ist das Gefühl der Unausweichlichkeit, der Ohnmacht gegenüber dem Schicksal wie ein Schatten und wird zusätzlich durch den zeitlich leicht versetzten Verlauf der Teilhandlungen verstärkt. Das Ende des Romans folgt dem Gesetz der Serie: Die Handlung des Bandes wird abgeschlossen, die übergeordnete Geschichte um David Gross hingegen bleibt weiterhin offen und hält die Neugier wach. Und da Martin Krist sehr ökonomisch mit seinen Figuren umgeht, ist es nicht unwahrscheinlich, etwa Valentina ein weiteres Mal zu begegnen.

Persönliches Fazit

Permanente Spannung durch kurze Kapitel, bekannte Figuren und eine urbane Atmosphäre in einer paradoxen Mischung aus leichtem Phlegma und Melancholie: In bewährtem Stil zeigt Martin Krist in BRANDSTIFTER seine neue straßenerprobte Figur David Gross in Aktion.

© Rezension: 2019, Wolfgang Brandner

Brandstifter
David Gross 03
Martin Krist
Thriller
R&K, Berlin | ISBN 9783745007626
Taschenbuch, 420 Seiten
www.martin-krist.de
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