Mareike Fallwickl | Das Licht ist hier viel heller

by Alexandra Stiller
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Das Licht ist hier viel heller - Mareike Fallwickl - Bücherkaffee Literaturblog

Mareike Fallwickl – Das Licht ist hier viel heller – erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt

Wo hat ein Mensch seine Grenze, die kein anderer übertreten darf?

Wenger ist Schriftsteller, Mitte fünfzig und am Ende. Schon viel zu lange hat er keinen Roman mehr geschrieben. Ideen dafür hat er auch keine und mittlerweile kann er auch nicht mehr von seinem bisherigen Erfolg zehren – er hat den Zenit seiner schriftstellerischen Laufbahn eindeutig überschritten. Seine Familie hat er auch verloren. Seine Frau Patrizia, die nun mit einem Jüngeren zusammen ist. Seine Kinder Zoey und Spin, die ihn sowieso nicht leiden können. Das Haus hat er ihnen überlassen, er haust jetzt in einer kleinen Wohnung in Hallein, lässt sich gehen, bemitleidet sich lebst – und lässt sich von seiner Schwester umsorgen.

Während seiner schlimmsten Selbstmitleidsphase entdeckt er Post in seinem Briefkasten, die nicht an ihn adressiert ist, sondern an die Person, die vorher in der Wohnung gelebt haben muss. Es ist ein weißer Briefumschlag mit Handschrift, aber ohne Absender. Der Empfänger: Albert Trattner. Weitere Briefe folgen und Wenger kann nicht widerstehen, er liest sie alle. Es sind Briefe, geschrieben von einer Frau, die tiefen Schmerz erfahren haben muss. Gefüllt mit Worten, die sie aus sich herauspressen musste, die viel zu lange ihre Seele quälten.

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Erinnerst du dich, dass Worte scharf sein können wie ein Messer? Weißt du noch um ihre Macht, um diese Schlingen, die sich auf dich legen, mit Eisenspitzen, die dir die Haut aufbrechen und die Knochen? Ich will eine Schlinge sein, ich will ein Messer sein, in Eisen gegossene Unbarmherzigkeit.

Etwas rüttelt an Wenger, plötzlich kommt da Bewegung in ihn….

Maximilian Wenger, ein typischer Antiheld – und ein Paradebeispiel. Ein selbstverliebter Mann, der immer in erster Linie nach seinem Vorteil schaut, der frauenfeindlich und berechnend ist.  Man spürt regelrecht, wie die Wut hochkocht – und dann sind da Momente, da tut er einem fast (ich wiederhole: fast) wieder leid, dieser alte, toxische Mann. Es sind diese Momente, in denen ihm mal der Arsch auf Grundeis geht. Diese Momente, wenn er selbst den Spiegel vorgehalten bekommt. Er beschäftigt mich als Leserin ungemein, denn sind wir ehrlich: kennen wir nicht alle mindestens einen “Wenger” in unserem Leben? Und ist genau das nicht unglaublich erschreckend?

Während Wenger damit kämpft, dass seine besten Jahre wohl vorbei sind und er nicht mehr der Coole ist, der Draufgänger, der Star der Branche, kämpft seine Tochter mit dem Erwachsenwerden. Die achtzehnjährige Zoey berührte mich ungemein. Ihre ganze Persönlichkeit sprach mich an, ihre Gedanken, ihre Emotionen gingen tief und ich fühlte mich mit ihr „verbunden.  Sie führt einen ganz persönlichen inneren Kampf, muss mit einem seelischen Schmerz zurechtkommen, den sie niemandem anvertrauen mag. Und dann ist da noch diese Sache mit der Liebe, die so fuckin´ kompliziert sein kann, die einem jeglicher Worte berauben kann.

Es ist das beschissenste aller Gefühle, wenn man unbedingt etwas sagen, etwas loswerden möchte und die Angst sich zu entblößen einem gleichzeitig alle Worte aus dem Mund schneidet. 

Zoey ist introvertiert, sie genießt das Alleinsein und empfindet das keinesfalls als Last. Sie gibt, sie beschützt – für ihren Bruder würde sie zur Löwin werden. Spin ist ihr Bruder, ihr Freund, ihr Seelenverwandter in einer Person. Er ist derjenige, der sie versteht. Auch ohne Worte. Er weiß, wie sie tickt, was sie mag, was sie sich wünscht. Er ist all das, was ihre Eltern nicht für sie sind.

Irgendwo zwischen Wahrnehmung und Kamerauslöser verpufft der Zauber. Manchmal gelingt es mir, ihn einzufangen.

Aber Zoey besitzt auch eine unglaubliche innere Stärke, sie findet einen ganz eigenen Weg, Erfahrungen zu verarbeiten – zum einen mithilfe der Fotografie auf künstlerische Ebene. Zum anderen mit eben jenen Briefen, von dieser unbekannten Frau, die sie heimlich bei Ihrem Vater liest. Das Fotografieren und diese eindringlichen Texte bekräftigen sie.

Ihr Loslösen, das ist ihr Wachsen und ihr Weg – hin zur eigenen Persönlichkeit.
Ihr Weg – hin zu einem völlig selbstbestimmten und freien Leben.
Ihr Weg – weg von Ängsten, Zweifeln und Unterdrückung.
Ihr Weg – weg von dieser Muschel, in die sich viele Frauen zurückziehen, so wie ihre Mutter. Eine feste Muschel, die sie um sicher herum schließen, in der sie still leiden, erdulden und leider viel zu oft hinnehmen und versuchen, mit allem alleine fertig zu werden.

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Mareike Fallwickl bricht mit diesem Roman diese Muschel auf.

Sie zerrt die mannigfachen emotionalen und körperlichen Übergriffe und den immer noch alltäglichen Sexismus, den Frauen erfahren,  ins helle Licht – sei es in kleinen Gesten, in anzüglichen Blicken, in Zurückweisungen und Demütigungen, in beiläufigen und mutwilligen Äußerungen und in den Taten, die niemals heilende Wunden hinterlassen. Diese Briefe, die wehtun, die bis ins Mark treffen, verbinden alles in diesem Buch, bilden einen Rahmen und zeigen, wie unglaublich wichtig es ist, dass sich etwas ändert. Das Patriarchat ist menschengemacht – die Ketten müssen endlich gesprengt werden. Ich ziehe meinen Hut vor Mareike Fallwickl, dass sie nicht schweigt und den Mut und die Kraft hatte, in ihrem Roman so schonungslos zu sein. Chapeau!

#schöneneuewelt

Zeitgleich wirft sie auch einen ironisch-bissigen und vor allem messerscharfen Blick auf unsere Gesellschaft, unsere „neuen“ Werte, auf den Social-Media-Lifestyle und das ständige Festhalten von (Fake)Momenten. Einen Filter darüber und die Likes sind garantiert. Sie verwendet passenderweise immer wieder Hashtags als Kapitelüberschriften. Besonders gelungen finde ich diesen Kontrast zwischen schnelllebigen digitalen Welt und der manuellen Fotografie, die das Auge und das Bewusstsein schärft. Hier liegt die Konzentration auf dem Wesentlich, auf den Details, alles wird intensiver. Die Dunkelkammer steht für die Ruhe, eine Auszeit von allem.
Sie lüftet auch ein wenig den Vorhang  des Literaturbetriebs, leuchtet auch hier etwas aus -und so manch einer wird sicher schmunzeln und die ein oder andere Situation wieder erkennen.

#partyhard

Selten machte ich mir so viele Notizen zu einem Buch wie zu DAS LICHT IST HIER VIEL HELLER von Mareike Fallwickl . So viele kluge Sätze, die mich zum nach- und weiterdenken anregten. Emotionen, die verarbeitet werden, Tränen, die trocknen mussten. Und am Ende, da bleibt erst einmal diese Wut. Aber sie ist gut und so wichtig, denn sie schärft auch meinen Blick.

Und ich habe eine ganze Seite mit Zitaten gefüllt, weil ich während des Lesens ständig dachte: „Ja! Genauso ist es!“ Gerne würde ich sie alle hier mit Euch teilen – aber mir ist viel lieber, ihr geht sofort los in die nächste Buchhandlung Eures Vertrauens und kauft dieses Buch – und ich wette, Ihr werdet selbst über all diese wahren, diese guten Sätze stolpern.

Aber ein Zitat möchte ich hier zum Schluss doch noch aufschreiben, weil es so schön und so lebensbejahend und so befreiend ist. Es stammt – natürlich – von Zoey:

Und das Schöne am Barfuß sein ist, dass man anders tanzen kann ohne Schuhe, wie ein Mensch, der noch weiß, wo unten ist und oben, der mit den Füßen stampft, um den Himmel zu besänftigen. Ich vergesse mich selbst, wenn ich so tanze, und das ist das beste Gefühl.

Das Licht ist hier viel heller - Frankfurter Verlagsanstalt - Bücherkaffee Blog

Artikel © 2019, Alexandra Stiller
Fotografien © 2019, Markus Stiller

 

Mehr von Mareike Fallwickl:

>> Dunkelgrün, fast schwarz (Roman, 2018) 

Das Licht ist hier viel heller Book Cover Das Licht ist hier viel heller
Mareike Fallwickl
Roman
Frankfurter Verlagsanstalt | ISBN 9783627002640
August 2019
Hardcover, Schutzumschlag mit Metallic-Lack/5c
384 Seiten
www.fva.de
4 comments

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Rezension // Das Licht ist hier viel heller von Mareike Fallwickl – Book Broker 31. August 2019 - 10:03

[…] Bücherkaffee I Leseschatz I Salzburger Nachrichten […]

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Kathrin Rania 1. September 2019 - 8:41

Wow, deine Rezension ist so mitreißend und überzeugend, dass ich das Buch am liebsten gleich lesen möchte! Ihr erstes liegt leider immer noch ungelesen hier, es sind einfach so viele Bücher auf der Liste… Ja, so einen Wenger kenne ich auch und er macht mich auch oft richtig wütend. Das ganze Social-Media Thema finde ich auch immer bedenklicher, wieviel ist noch echt? Die Zitate sprechen mich sehr an, es ist gut, wenn solche Themen angesprochen werden! Lg, Kathrin

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Alexandra 2. September 2019 - 9:29

Liebe Kathrin,
das freut mich so, dass dich meine Gedanken zum Buch ansprechen – ich kann es dir wirklich nur wärmstens empfehlen. Bücher wie diese sind so wichtig, weil sie die Augen öffnen, zum Nachdenken anregen. Dinge, die hier in dieser Geschichte passieren – die passieren täglich immer wieder und oftmals wird das alles hingenommen. Und das ist furchtbar erschreckend, da muss mehr passieren. Mareike Fallwickl rüttelt mit dieser Geschichte und das ist so klasse.
Ich bin gespannt, wie es dir gefallen wird, wenn du es liest.

Liebe Grüße, Alexandra

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Marleen 28. September 2019 - 18:53

Liebe Alexandra,
hab das Buch gerade ausgelesen und brauchte einfach eine Meinung dazu. Mir geht es wir dir. Zoey hat mich vollkommen mitgerissen, aber Wenger ist der, der mich zum Nachdenken bringt und auch fast zum Kotzen 😉 Das liegt ganz nah nebeneinander. Im Grunde so wie du es auch sagst. Und ja! All diese klugen Sätze… ich kann dich sehr gut verstehen. Ich hätte Seiten mit ihnen füllen können. Von meiner Seite also auch großes Lob und Danke für deine Rezension, die nochmal Ordnung in meine Gedanken gebracht hat!
Liebe Grüße, Marleen

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