Norwegen ist ja in diesem Jahr das Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse. In unseren ersten NORWEGEN-STORIES haben Florian und ich euch ein wenig mit nach Oslo genommen – jetzt möchten wir einen Blick auf die Literatur aus Norwegen werfen. 450 Bücher von und über Norwegen werden in 195 deutschsprachigen Verlagshäusern herausgegeben, das ist wirklich bemerkenswert! Da ist es aber auch schwierig, den Überblick zu behalten. Wir haben uns umgeschaut und umgehört und eine kleine, aber feine Auswahl zusammengestellt. Der Großteil dieser Bücher ist nun mittlerweile auch erschienen und in der Buchhandlung eures Vertrauens zu bekommen. Diese sehr bunt gemischte Auswahl wurde von uns ganz subjektiv getroffen – zum Teil haben wir sie schon gelesen und / oder die Beschreibung sprach uns sofort an. Vom Kinderbuch über Romane und Klassiker bis hin zum Märchenbuch – da wartet wirklich Großartiges darauf, entdeckt zu werden.
Schreibt uns, welche Bücher EUCH gleich spontan ansprechen – oder welche ihr schon gelesen habt. Wir sind neugierig!
Max, Mischa und die Tet-Offensive | Johan Harstad
Max Hansen wächst in Norwegen auf. Genauer: im Stavanger der 80er Jahre, wo die Väter für Monate auf Ölplattformen verschwinden, während die Kinder im Märchenwald Vietnamkrieg spielen. Ein Idyll – bis Max‘ Familie in die USA emigriert. Während der Vater nun von Long Island aus um die ganze Welt fliegt und so selten zu Hause ist, dass die Ehe der Eltern daran zu zerbrechen droht, rücken Max und seine ebenso einsame Mutter näher zusammen. Bis Mordecai kommt, der zunächst Max‘ bester Freund und später ein bekannter Schauspieler wird. Er macht ihn auch mit Mischa bekannt, einer sieben Jahre älteren bildenden Künstlerin. Max und Mischa verlieben sich ineinander. Sie ist es auch, die Max anstiftet, sich auf die Suche nach seinem geheimnisvollen Onkel zu machen, einem Vietnam- Kriegsveteranen, mit dem sein Vater vor langer Zeit gebrochen hat. Sie finden ihn im Apthorp-Building in Manhattan und ziehen schon bald bei ihm ein. Die unkonventionelle WG, in der man einander mit Großmut und Verständnis begegnet, wird zum Epizentrum des Lebens von Max, Mischa, Mordecai und Onkel Owen. Für einen Moment scheint es, als hätte Max ein Zuhause gefunden…
Was helfen könnte | Mona Høvring
Als die Mutter ins Wasser geht und nicht zurückkehrt, ist Laura in der ersten Klasse. Ihr Leben in einer kleinen norwegischen Stadt am Meer mit dem älteren Bruder und dem unnahbaren Vater ist fortan ein Suchen nach etwas, das helfen könnte, diesen Verlust zu verschmerzen. Mit großer Intensität und Klarheit erzählt Mona Høvring in sinnlich-zarten Szenen von der Freundschaft mit Marie, vom Gärtner Andreas und seiner Frau Johanna, die Laura zugleich Verwurzelung und Weltoffenheit vorleben, von ihrer erwachenden Sexualität, dem erotischen Erlebnis mit der deutlich älteren, eleganten Vivian Koller, die eines Tages in der verschlafenen Stadt auftaucht, und der Beziehung zum gleichaltrigen Peter. Jede dieser Begegnungen birgt die Möglichkeit, etwas von dem zu fassen, was so schwer fassbar ist, und dem Leben ein Stück näher zu kommen. Allgegenwärtig dabei ist das Meer, das Gefahr und Chance zugleich ist – und der Inbegriff von Lauras Wunsch, sich freizuschwimmen und getragen zu sein. Einfühlsam beschreibt Mona Høvring Lauras Weg und zeigt Berührungspunkte auf, an denen Lebensmut entstehen kann. Ein überzeugendes Debüt, das den späteren Erfolg der Autorin bereits erahnen lässt.
Trost | Ida Hegazi Høyer
Eine namenlose Frau reist alleine nach Lissabon, Berlin und Brüssel. In jeder Stadt beginnt sie eine Beziehung: einmal mit einem Mann, einmal mit einer Frau und zuletzt mit einem viel jüngeren Mann. Drei Begegnungen zwischen Anonymität und Begehren, drei Großstädte, drei Paare, die sich im Trubel einer atemlosen Gegenwart finden. Alle sind auf der Suche, versuchen aber zugleich im Schutz der Unverbindlichkeit zu bleiben. Immer wieder lässt die Frau sich auf Nähe ein, Intimität entsteht, ohne zu wissen, ob der Andere Gefahr oder Trost bedeutet. Immer wieder wird dem Fremden die Türe geöffnet, um nicht in der Kälte und Einsamkeit der Großstädte zu ersticken. „Trost“ erzählt mit großer Unmittelbarkeit von der Liebe in Zeiten der Rastlosigkeit.
Die Glocke im See | Lars Mytting
Kai Schweigaard hat soeben die kleine Pfarrei mit der 700 Jahre alten Stabkirche in Butangen übernommen. Die würde er gerne abreißen und durch eine modernere, größere Kirche ersetzen. Er hat auch schon Kontakt zur Kunstakademie in Dresden aufgenommen, die ihren begabten Architekturstudenten Gerhard Schönauer schickt, der den Abtransport der Kirche nach Dresden und den Aufbau dort überwachen soll. Astrid rebelliert, denn mit der Kirche würden auch die beiden Glocken verschwinden, die einer ihrer Vorfahren einst der Kirche gestiftet hat. Man sagt ihnen übernatürliche Kräfte nach und dass sie von selbst läuten, wenn ein Unglück bevorsteht. Astrid verliebt sich in diesen Gerhard. Er ist so anders als die jungen Männer in Butangen. Modern, weltoffen, elegant. Astrid muss sich entscheiden. Wählt sie die Heimat und den Pfarrer oder den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft in Deutschland. Da hört sie auf einmal die Glocken läuten …
Schamlos | Amina Bile, Sofia Nesrine Srour, Nancy Herz, Esra Røise
Drei junge Frauen – Muslimas, Bloggerinnen, Feministinnen – beziehen Position: Wie fühlt es sich an, ständig zwischen den Erwartungen ihrer Familien, ihrer kulturellen Identität und ihrem Selbstverständnis, als Jugendliche in einem westlichen Land zu leben, hin- und hergerissen zu sein? Sie haben Diskussionen angeregt, Tabu-Themen öffentlich gemacht und zahlreiche sehr persönliche Geschichten gesammelt. Dabei ist ein bemerkenswertes Buch entstanden, ein mutiges Buch. Dieses Buch ist ein Plädoyer für eine multikulturelle Gesellschaft.
Vergesst unseren Namen nicht | Simon Stranger
n der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen. Ein auf wahren Begebenheiten basierender Roman, der achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Eine Erzählung über den Holocaust, über Familiengeheimnisse und über die Geschichten, die wir an unsere Kinder weitergeben. Ausgezeichnet mit dem norwegischen Buchhändlerpreis und dem Riksmål Preis.
Durch die Nacht | Stig Sæterbakken
Karl Meyer ist Zahnarzt und führt ein durch und durch bürgerliches Leben. Doch als sein erst achtzehnjähriger Sohn Ole-Jakob Suizid begeht, droht es die Familie zu zerreißen. Karls Frau Eva steht unter Schock, die Tochter Stine verstummt. Auch Karl ist in seiner Trauer gefangen. Er denkt zurück an sein Kind, vor allem aber an das, was die Familie schon vor dessen Tod auf eine Belastungsprobe stellte: Karls Liebschaft mit der deutlich jüngeren Mona. Ist es diese Affäre, die Ole-Jakob in den Tod getrieben hat? Die Schuldfrage steht im Raum – und Karl läuft davon. Er begibt sich auf eine Reise in die Slowakei. Dort hofft er, Erlösung zu finden: in einem Haus, in dem man, so heißt es, mit seinen tiefsten Ängsten konfrontiert wird – und das man entweder gebrochen oder geheilt verlässt.
Die Zeit, die es dauert | Hanne Ørstavik
Nur wenige Autoren vermögen zitternde Wut, brennende Intensität und zärtliches Verständnis in einer so nackten Sprache auszudrücken wie Hanne Ørstavik. Signe ist 30 Jahre alt und mit Ehemann und Kind aufs Land gezogen. Es ist kurz vor Weihnachten, und die drei planen, zum ersten Mal allein zu feiern. Aber dann kommen Signes Eltern und ihr Bruder zu Besuch. Die Zeit, die es braucht ist ein Roman, in dem das Licht im Dunkeln liegt, der Sommer im Winter, die Vergangenheit in der Gegenwart. Die 13-jährige Signe steckt in der 30-jährigen, und auch um das Leben der 13-jährigen in der Finsternis von Finnmark geht es. Ein Roman über das Erzählen von Zeit und darüber, dass die Geschichten unseres Lebens immer in uns präsent sind.
Genau richtig | Jostein Gaarder
Albert hat eine schlimme Diagnose von seiner Ärztin und ehemaligen Geliebten erhalten. Während seine Frau Eirin auf einem Kongress ist, fährt er allein in die einsame Ferienhütte an einem Waldsee: Soll er sein Leben selbst beenden, bevor es die tödliche Krankheit tut? Um mit sich selbst ins Reine zu kommen, schreibt er in das Hüttenbuch. Er erzählt, wie er Eirin kennenlernte und wie sie als jung Verliebte in das Märchenhaus einbrachen, das sie später gekauft haben. Wie seine Ehe zu kriseln begann, welche Rolle Sohn und Enkelin für ihn spielen und von seiner Begeisterung für die Astrophysik. Es wird eine lange Nacht, bis irgendwann ein Boot ruderlos auf dem See treibt und ein Fremder erscheint.
Männer in meiner Lage | Per Petterson
Arvid Jansens Ehe ist gescheitert, seine Frau mit den drei Töchtern auf und davon. Sie findet neue Freunde, er nennt sie nur „die Farbenfrohen“, und er bleibt allein. Auch seine Kinder entgleiten ihm immer mehr. Arvids Weg führt steil nach unten, er scheitert als Mann, als Vater, bis er wieder zu sich kommt und seine Verantwortung für die große Tochter erkennt, die am meisten unter der Scheidung leidet. Wenn Per Petterson die Konflikte und den existentiellen Schmerz dieses Mannes beschreibt, entsteht große Literatur voll Melancholie und Zärtlichkeit.
Ein Hummerleben | Erik Fosnes Hansen
Ein Hotel hoch oben im norwegischen Fjell in den 1980er-Jahren. Sedd wächst bei seinen Großeltern auf. Über seinen Vater weiß er nicht viel, die Mutter ist verschollen. Liebevoll, aber bestimmt wird er von den Großeltern – der Großvater ist nebenbei Tierpräparator, die Großmutter stammt aus Wien – auf seine Rolle als künftiger Hotelerbe vorbereitet. Er hilft als Laufbursche, Küchenjunge und Tourenbetreuer aus und verinnerlicht den Leitsatz »Jeder einzelne Gast zählt« bereits im zarten Kindesalter. Zufluchtsort ist für ihn die Großküche des Hotels, in der der ehemalige Seefahrer Jim schaltet und waltet und für Sedd Vater, Mutter und Freund zugleich ist, wenn die Großeltern keine Zeit für ihn haben. Doch spätestens, als der Bankdirektor Berg bei einem Essen stirbt, zeigen sich erste Risse in der vermeintlichen Idylle.
Bösemann | Gro Dahle, Svein Nyhus
Wenn Kinder zuhause Angst haben müssen, wird an einem Tabu in unserer Gesellschaft gerührt: der häuslichen Gewalt.Das Buch von Gro Dahle und Svein Nyhus verstört und rüttelt auf. Es erzählt vom Jungen Boj und von seinem gewalttätigen Vater. Wenn der Vater wieder einmal sehr wütend ist, stellt sich der Junge vor, dass Bösemann von ihm Besitz ergriffen hat. Bösemann steht für die unberechenbare Seite seines Vaters. Die Autorin vertritt die wichtige Botschaft: Es gibt keine Toleranz für gewalttätiges Verhalten. Den betroffenen Familien vermittelt sie: Ihr seid nicht allein. Es ist nicht eure Schuld. Ihr müsst darüber sprechen.
Das Leben und ich. Eine Geschichte über den Tod
Ganz in Blau, aber mit rosa Wangen und einer Blume im Haar fährt Tod auf ihrem pinken Fahrrad herum. Sie besucht kleine Tiere mit weichem Fell und große Tiere mit scharfen Zähnen. Sie besucht gütige Großmütter und bleibt so lange, bis diese ihre letzten Handarbeiten erledigt haben. So zieht Tod durch eine Welt sanfter Schönheit und erzählt uns, wer sie ist. Kinder wollen wissen, was es bedeutet, wenn jemand stirbt. Das Leben und ich findet eine ehrliche, direkte Sprache und kindlich-träumerische Illustrationen für das, was sonst so schwierig zu beschreiben ist und holt den Tod zurück ins Leben. Denn am Ende wird klar: beide sind untrennbar miteinander verbunden.
Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich | Kjersti Annesdatter Skomsvold
Mathea Martinsen ist fast hundert Jahre alt, lebt am Stadtrand von Oslo und hat gerade ihren geliebten Mann verloren. Für wen soll sie nach dem Tod des schrulligen Statistikers jetzt ihre Ohrenwärmer stricken? Mit wem kann sie nun über das Leben philosophieren? Matheas Versuche, ins Leben zurückzufinden, rühren und amüsieren zu Tränen. “Ich wünschte, ich könnte den kleinen Rest vom Leben aufsparen, bis ich weiß, was ich damit anfangen soll. Aber das geht nicht, dafür müsste ich mich schon einfrieren, und wir haben nur eines dieser kleinen Gefrierfächer über dem Kühlschrank …” Mathea Martinsen will ihre verbleibende Lebenszeit gut nutzen – aber wie? Schon die Teilnahme an einer Tombola im Seniorenzentrum misslingt, weil man prompt ihre eigene Jacke verlost. Und ist eine im Garten vergrabene Zeitkapsel mit ihrem Hochzeitskleid und selbstgestrickten Ohrenwärmern das richtige Mittel, ihr Andenken für die Nachwelt zu bewahren? Mit Humor und großer Zärtlichkeit zeichnet der Roman das Bild einer schüchternen alten Dame, die es noch einmal wissen will.
Unendlich mal unendlich mehr | Ingrid Ovedie Volden, Felicitas Horstschäfer
Bezaubernd, vielschichtig und in jeder Hinsicht außergewöhnlich ist dieser Debütroman für Kinder ab 10 Jahren. Petra liebt gerade Zahlen, denn die lassen sich teilen, ohne sie kaputt zu machen. Sie mag Fußball, ihren Kumpel Chris und ihre beste Freundin Melika. Was sie gar nicht mag, ist Wasser: dieses unkontrollierbare Etwas, das sich in alle möglichen Richtungen bewegt. Doch dann lernt sie Thomas kennen, den Propellerjungen aus dem Schwimmbad. Ihm zuliebe wagt sie sich sogar mit dem Kopf unter Wasser – und plötzlich ergibt alles einen Sinn.
Das verborgene Leben der Meisen | Andreas Tjernshaugen
Wussten Sie, dass Meisen der Vielweiberei frönen, Fledermäuse töten, weil deren Gehirn besonders lecker schmeckt, und sich in der Luft wie fliegende Dinosaurier verhalten? Andreas Tjernshaugen, Ornithologe aus Leidenschaft, zeigt, was wir über Meisen alles nicht wissen, er enthüllt uns eine faszinierende Welt direkt vor unseren Augen, die uns bisher verborgen blieb. Sehr zur Freude seiner Kinder hat Andreas Tjernshaugen eines Tages zwei Meisenkästen in die Bäume des Gartens gehängt und in einem davon eine Kamera installiert, denn er wollte es endlich genauer kennenlernen, das verborgene Leben der Meisen. Haben Meisen Alltagsprobleme? Ja, Nachbarschaftsstreit, Eifersuchtsdramen bei der Partnerwahl, Differenzen bei der Kindererziehung – wie bei uns. Und keine Meise gleicht der anderen: Die einen sind ängstlich, die anderen wagemutig und zupackend, wenn sie Neuem und Unbekanntem begegnen. Ein Jahr lang hat Tjernshaugen ihre Gewohnheiten beobachtet. Nach der Lektüre seines Tagebuchs werfen wir einen anderen Blick auf die Vögel vor unserem Fenster.
Die schönsten norwegischen Märchen | Hg.: Hans-Jürgen Hube
Es rauschen die dunklen Wälder des Nordlandes, es faucht der Wind über die Berge, es tobt das Meer an den zerfurchten Küsten und Fjorden, wo Trolle spuken, die den Menschen das Leben erschweren und ihnen allerlei Streiche spielen. Doch noch listiger sind die Trollweiber, und sie haben zahlreiche Helfer – Tiere, Vögel und Naturkräfte –, die nur ein richtiger Held wie der Aschenper bezwingen kann … Die norwegischen Märchen nehmen die Leser mit auf abenteuerliche Segelfahrten und entführen sie in die wilde Natur der skandinavischen Halbinsel. Angeregt durch die Brüder Grimm, begannen in Norwegen die beiden Freunde Peter Christen Asbjørnsen (1812-1885) und Jørgen Moe (1813-1882) die Märchen ihrer Heimat zu sammeln und aufzuzeichnen. Aus ihrer 1841 bis 1851 erschienenen Sammlung schöpft die vorliegende Ausgabe.
Kinderwhore | Maria Kjos Fonn
»Kinderwhore« ist der Kleidungsstil der Grunge-Musikerin Courtney Love, und Charlottes Mutter liebt Courtney Love, weshalb sie sich ebenfalls so anzieht. Doch von der Protesthaltung, die eigentlich dahintersteht, weiß sie nichts. Charlottes Mutter lässt ihre Tochter oft allein, und wenn sie mal da ist, schläft sie die meiste Zeit, betäubt von starken Medikamenten. Wenn sie nicht schläft, schenkt sie ihrer Tochter neue Väter. Als Charlotte in der Pubertät ist, bekommt sie einen Vater, der die Nächte lieber bei ihr als bei ihrer Mutter verbringt. Was dabei geschieht, kann sie unmöglich begreifen. Sie beginnt, die Pillen ihrer Mutter zu schlucken und ist glücklich, als sie entdeckt, dass es Wege gibt, die eigenen Gefühle auszuschalten. So schafft sie eine Trennung zwischen Körper und Geist, die es ihr erlaubt, unterschiedliche sexuelle Rollen zu spielen. Sie glaubt, die Kontrolle zu haben, über sich und andere, doch das erweist sich als bitterer Trugschluss. Kann man mit derart destruktiven Mustern seine Jugend unbeschadet überstehen?
T. Singer | Dag Solstad
Lydia Davis lernt Norwegisch, um ihn im Original zu lesen, Haruki Murakami ist ein begeisterter Leser und Peter Handke hat u.a. seinem Roman Scham und Würde einen Essay gewidmet. Die Rede ist vom norwegischen Autor Dag Solstad, dessen Romane in seinem Heimatland Kultstatus haben. Singer ist vierunddreißig und hat gerade die Ausbildung zum Bibliothekar abgeschlossen, als er mit dem Zug in der Kleinstadt Notodden ankommt, um ein neues Leben zu beginnen. Er verliebt sich in Merete, eine Töpferin, und zieht mit ihr und ihrer kleinen Tochter zusammen. Im Lauf der Jahre beginnt die Beziehung zu bröckeln. Und gerade als sich das Paar scheiden lassen will, nimmt Singers Schicksal durch einen Autounfall eine unerwartete Wendung.
Alle haben einen Po | Anna Fiske
Große, kleine, alte und junge Körper – über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Ein Sachbuch, das Groß und Klein zum Lachen bringt. Wir alle haben einen Po. Wir alle haben einen Körper, aber alle Körper sind verschieden. Es gibt große, kleine, alte und junge. Es gibt verschiedene Haut- und Haarfarben. Wir müssen uns gut um unseren Körper kümmern, ihn gesund ernähren, waschen und vor Sonne und Kälte schützen. Alle Körper machen lustige Geräusche: Wir niesen, pupsen und schnarchen. Und unser Körper kann zeigen, wie wir uns fühlen – ob wir erschöpft, froh oder traurig sind. Unser Körper ist einfach toll: Wir können tanzen und uns gegenseitig umarmen. Aber du allein bestimmst, wer dich anfassen darf. Ein ungemein vergnügliches Sachbuch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, das ein Bewusstsein für den eigenen Körper und den Umgang miteinander schafft.
Der Beginn | Carl Frode Tiller
Das Leben kann nur rückwärts verstanden werden, gelebt werden muss es vorwärts, heißt es bei Søren Kierkegaard. Terje liegt nach einem Suizidversuch im Sterben. Er lässt sein verpfuschtes Leben Revue passieren. Auf der Suche nach Antworten gräbt er sich immer tiefer in die schmerzhafte Vergangenheit, soghaft getrieben von den blinden Flecken des eigenen Lebens: der depressiven, alkoholkranken Mutter, dem abwesenden Vater, dem Abrutschen in Ticks und Gewalt als junger Mann, und dem quälenden Gefühl des Verlassenseins, das ihn immer bestimmt hat. Momente des Friedens fand er nur in der Natur. Ruhelos stellt Terje sich im Krankenhaus seinem Leben vom Ende bis zum Anfang, vom Tod bis zur Kindheit. Ein bewegendes Buch, erzählt wie im Rausch – über endgültige Entscheidungen, Vorherbestimmung und die Freiheit des Einzelnen.
Das Jahr | Tomas Espedal
Tomas Espedals neues Buch beginnt an einem 6. April, dem Tag, an dem Petrarca seine Laura zum ersten Mal sah. Ausgehend von dieser unerfüllten Liebe, der Quelle für Petrarcas Liebesgedichte, geht Espedal der Frage nach, ob eine solch große, einzigartige Liebe, die alle Zeiten überdauert, heute noch möglich ist, ob sie überhaupt jemals möglich war. Gemeinsam mit seinem gebrechlichen Vater unternimmt er eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer und bemerkt erst dort, als der Vater aufzublühen scheint, dass er auch ihn bald verlieren wird. In der Liebe seines Vaters für seine verstorbene Mutter wie auch in seiner eigenen Liebe für Janne, die ihn bereits vor Jahren verlassen hat, erkennt Tomas etwas ähnlich Bedingungsloses und Andauerndes wie bei Petrarca. Am Ende waren sie dennoch alle allein. Nicht nur die Erfahrung einer so tiefen Liebe ist lebensverändernd, sondern auch deren Verlust. Wie ist es möglich, angesichts einer so umfassenden Erfahrung weiterzuleben wie bisher?
Viga-Ljot und Vigdis | Sigrid Undset
Die Geschichte von Vigdis und Viga-Ljot könnte heute kaum relevanter sein, obwohl sie vor über hundert Jahren veröffentlicht wurde. Eindrücklich beschreibt die Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset das Ringen der schillernden jungen Vigdis um Emanzipation und Gerechtigkeit im von Männern und Gewalt dominierten Norwegen der Wikingerzeit. Als der Isländer Ljot den Hof ihres Vaters besucht, verliebt sich Vigdis in den impulsiven Fremden. Ljot aber will nicht auf ihre Entscheidung warten und vergewaltigt sie. Den Sohn, den Vigdis neun Monate später zur Welt bringt, zieht sie allein groß. Auf sich gestellt kämpft sie um ein autonomes Leben – und die Ehre ihrer Familie. Wütend trotzt sie den unzähligen Widerständen, denen sie im patriarchalen System ihres Heimatlandes ausgesetzt ist, und stellt sich nicht nur ihrem Vergewaltiger, sondern auch den Mördern ihres Vaters mutig entgegen. Ein Klassiker der norwegischen Literatur in eleganter Neuübersetzung von Gabriele Haefs. Mit einem Vorwort von Kristof Magnusson
Die Puppe im Grase | Norwegische Märchen
Kleine Puppen locken Königssöhne ins hohe Gras, Handwerker überlisten mithilfe von Nüssen den Teufel und ein Huhn rettet die Erde vor dem Vergehen. Eine Welt jenseits des Alltages wartet darauf, neu entdeckt zu werden. Was Jacob und Wilhelm Grimm für Deutschland waren, waren Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe für Norwegen. Die Seele eines Landes ist fest verankert in den Geschichten, die sich seine Bewohner über Generationen hinweg abends erzählten. Sie erweckten mit ihren Erzählungen eine phantastische und zugleich raue Welt zum Leben, die einerseits geprägt war von Moral und Sittenlehre und andererseits von Sehnsüchten und den Träumen der einfachen Menschen. Nördlich des Skagerraks entstand dabei ein Universum, mystisch, makaber, faszinierend und so reich an sprachgewaltigen Bildern, dass sie auch heute noch Lesende sofort in ihren Bann zu ziehen vermögen. In diesem Werk gestaltet Kat Menschik für eine Auswahl ihrer Lieblingsmärchen einzigartige, wunderschöne Illustrationen. So entsteht eine Reise in die unweite Vergangenheit, die die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion für einen Augenblick aufhebt und den Leser Teil der Sagen eines entfernten und doch so nah wirkenden zauberhaften Kosmos sein lässt.
Die Liste könnte noch so viel länger werden, denn wir entdecken ständig noch weitere interessante Bücher. Aber nun halten wir bewusst die Augen auf der Messe auf und geben euch danach noch einen intensiveren Einblick in die Neuerscheinungen aus Norwegen.
Aber aufgepasst: Wir stellen euch in unseren “Norwegen-Stories” aber nicht nur Bücher von norwegischen Autor*innen vor – nein: morgen bekommt ihr von uns auch Buchtipps ÜBER Norwegen – das Land, die Menschen, die Kunst und die Kultur. #staytuned
Alexandra & Florian
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