Laura, die aufgewühlt wirkende junge Frau, die nach einem One-Night-Stand mit dem Opfer zuletzt am Tatort gesehen wurde. Carla, die Tante des Opfers, bereits in tiefer Trauer, weil sie nur Wochen zuvor eine Angehörige verlor. Und Miriam, die neugierige Nachbarin, die als Erste auf die blutige Leiche stieß und etwas vor der Polizei zu verbergen scheint.
Drei Frauen, die einander kaum kennen, mit ganz unterschiedlichen Beziehungen zum Opfer. Drei Frauen, die aus verschiedenen Gründen zutiefst verbittert sind. Die auf unterschiedliche Weise Vergeltung suchen für das ihnen angetane Unrecht. Wenn es um Rache geht, sind selbst gute Menschen zu schrecklichen Taten fähig. Wie weit würde jede einzelne von ihnen gehen, um Frieden zu finden? [Text & Cover: © Random House Audio]
Nach den spannenden Psychothrillern “Girl on the train” und “Into the Water” liegt nun der dritte Titel der britischen Autorin Paula Hawkins vor. Den Auftakt der Geschichte bildet der Mord an dem jungen Londoner Hausbootbesitzer Daniel Sutherland. Von diesem Ereignis ausgehend, erzählt die Autorin die Geschichten dreier Frauen aus seinem Umfeld.
Ein fein gesponnenes Netz an Beziehungen
Naturgemäß die erste Verdächtige ist Laura Kilbride, die Daniel zuletzt gesehen und ihn nach einer gemeinsamen Nacht wutentbrannt verlassen hat. Die 25jährige Frau ist in ihrer Direktheit bewusst verletzend und hat ihre Aggressionen oft nicht im Griff. Die Ursache ist in Lauras Kindheit zu finden. Ihre alleinerziehende Mutter schlug sich mit wechselnden Beziehungen durch. Als Laura eines Nachmittags früher als geplant nach Hause kam, wurde sie vom gerade aktuellen Partner der Mutter überfahren. Neben den schweren körperlichen Verletzungen und einer tief sitzenden Verbitterung blieb der für die Impulskontrolle zuständige Teil von Lauras Gehirn dauerhaft geschädigt. Ihre Suche nach Anerkennung ist klar erkennbar, doch ihr aufbrausendes Wesen stößt nicht nur andere Menschen ab, sondern erschwert ihr, eine Arbeitsstelle dauerhaft zu behalten.
Carla Meyerson ist die Tante des Ermordeten. Sie tritt autoritär auf und wirkt unnahbar kalt. Auch ihr Charakter ist das Resultat von Schicksalsschlägen. Der frühe Tod ihres Sohnes Ben erschütterte ihre Ehe mit dem erfolgreichen Romanautor Theo nachhaltig. Ihre jüngere Schwester Angela, Daniels Mutter, ist Alkoholikerin und beansprucht einen guten Teil von Carlas Aufmerksamkeit.
Die 53jährige Miriam Lewis ist die Hausboot-Nachbarin des Ermordeten. Sie wird als klein und unansehnlich beschrieben und lebt zurückgezogen. Als sie als Mädchen entführt wurde, gelang ihr als eines von zwei Opfern die Flucht. Die traumatische Erfahrung hat sie in einem nie veröffentlichten Buch verarbeitet. Sie fühlt sich von der Welt betrogen und sinnt auf Rache. Als sie schließlich die Leiche findet, erfährt sie nach und nach, welche Macht sie als Hauptzeugin ausüben kann.
Mit den drei traumatisierten Frauen im Zentrum und flankiert von einer Handvoll nicht minder interessanter Nebenfiguren entwirft die Autorin ein komplexes Geflecht an Beziehungen. Durch Begegnungen, gemeinsame Erfahrungen, familiäre Bande sind die Charaktere vielfach miteinander verbunden. Falls die Autorin dieses Geflecht vor dem Verfassen des Romans zuvor entworfen, vielleicht visualisiert hat, wäre es interessant gewesen, ihr dabei über die Schulter zu blicken. Obwohl der Mord an Daniel Sutherland die Handlung anstößt, wirkt seine Aufklärung nebensächlich. Tatsächlich führt die Autorin über die von Schlaglöchern übersäten Lebenswege dreier Frauen. Der Kern des Romans ist die stückweise Enthüllung des fein gesponnenen Netzes an Beziehungen.
“Wer das Feuer entfacht” ist kein Thriller, bestenfalls ein Whodunnit-Krimi
Paula Hawkins’ Debütroman “Girl on the Train” ist ein spannender Thriller, der auf den beliebten Topos der unzuverlässigen Erzählerin setzt. “Into the Water” hingegen ist das Portrait eines kleinen Dorfes, das sich wie ein Puzzle aus den Perspektiven der unterschiedlichen Figuren zusammensetzt. “Wer das Feuer entfacht” ist nun eher mit dem zweiten als mit dem ersten Roman der Autorin zu vergleichen. Und das zu wissen, ist entscheidend, wenn das Buch an den eigenen Erwartungen gemessen wird. “Wer das Feuer entfacht” ist kein Thriller, bestenfalls ein Whodunnit-Krimi. Der Verlag wählt die Bezeichnung “Roman”. Die Figuren stehen folglich weder unter Zeitdruck, noch droht akute Gefahr, die vollständige Abwesenheit von Spannung darf nicht überraschen.
Die facettenreiche Zeichnung der Figuren mit ihren tragischen Schicksalen ist zweifelsfrei die große Stärke des Romans. Der starke Fokus darauf ist seine Schwäche. Gerade zu Beginn werden zu viele einander ähnliche Personen innerhalb kurzer Zeit vorgestellt. Dazu kommen Zeitsprünge und Perspektivenwechsel, nur selten helfen Kapitelüberschriften bei der Orientierung.
Gerade das Hörbuch wird zu einem mühsamen Balanceakt
Während Hörer:innen damit beschäftigt sind, die Figuren zu erfassen und deren Beziehungen zueinander im Kopf zu behalten, sollen sie noch genügend Aufmerksamkeit erübrigen, um der Handlung zu folgen. So gesehen ein Glück, dass es nicht allzu viel zum Folgen gibt. Zu viele Vorgänge, vielleicht noch eine unerwartete Wendung würden die Rewind-Funktion des Audioplayers wohl noch stärker beanspruchen.
Persönliches Fazit
Für einen Roman, der das Feuer im Titel trägt, ist erstaunlich wenig davon zwischen den Buchdeckeln zu finden. Die detaillierten Portraits der Hauptfiguren sind bemerkenswert, die Verbindungen der Figuren zueinander sorgfältig entworfen. An “Girl on the Train”, dem Debütroman der Autorin, sollte “Wer das Feuer entfacht” jedoch nicht gemessen werden.
© Rezension: 2021, Wolfgang Brandner
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Thriller
Random-House-Audio | ISBN: 978-3-8371-5695-9
2021
Hörbuch MP3-CD, Laufzeit: 8h 16m, Leicht gekürzte Lesung mit Britta Steffenhagen
www.penguinrandomhouse.de