Im Gespräch mit Autor Vincent Kliesch

by Alexandra Stiller
...

Wir im Bücherkaffee sind grundsätzlich der Meinung, dass die beste Begleitung für ein spannendes Buch ein exzellenter Kaffee ist. Wie dürfen wir denn Deinen servieren? Hast Du einen bevorzugten Ort für den schwarzen Zaubertrank, ein Lieblingscafé oder doch das gemütliche Wohnzimmer?
© Luca Steinmetz
Es gibt in meinem Freundeskreis eine bekannte Weisheit: Stelle dich niemals zwischen Vincent und Kaffee! Ich habe lange gebraucht, um die optimale Bohne für meinen Vollautomaten zu finden (Starbucks Espresso Roast!). Dann musste ich noch die optimale Wassermenge ausloten und exakt die richtige Menge Zucker dosieren. (Ich nehme niemals Milch in den Kaffee. Ich glaube, Milch im Kaffee ist für Menschen, die keinen Kaffee mögen.) Trinken tue ich ihn dann am liebsten auf dem alten Sessel von meinem Vater, eine Antiquität aus dem achtzehnten Jahrhundert (der Sessel, nicht der Vater). Mit Blick auf die schönen alten Villen am Schlachtensee, die ich aus meinen Fenstern sehen kann, genieße ich dann insgesamt vier Tassen am Tag. Nicht mehr, nicht weniger. Unterwegs trinke ich Kaffee eigentlich nur bei Starbucks. Die können das einfach am besten, finde ich.
Wie sieht ein typischer Tag im Schreiballtag von Vincent Kliesch aus? Pflegst Du bestimmte Rituale?
Ich werde von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen und ärgere mich, dass ich schon aufstehen muss. Dann schalte ich das Frühstücksfernsehen ein: „Punkt 12“ mit Katja Burkhard. Redaktionell sicher eine der schlechtesten Sendungen, die es gibt, aber zum Wachwerden ganz gut. (Irgendwann schicke ich denen mal einen Leserbrief, in dem ich ihnen erkläre, was die Bedeutung von „scheinbar“ ist. Das ist das Punkt-12-Lieblingswort. Kommt in jeder Ausgabe dreißig Mal – und ist dreißig Mal falsch.) Dann fahre ich ins Sportstudio und trainiere die Muskeln, die eingehen würden, säße ich immer nur am Schreibtisch. Danach setze ich mich in mein Arbeitszimmer und nehme mir vor, mindestens zehn Seiten zu schreiben. Zuvor hole ich mir aber erst mal einen Kaffee (der dritte des Tages). Dann klicke ich mich eine Stunde lang durch soziale Netzwerke, ohne, dass dabei irgendwas rauskommt. Ein Blick zur Uhr sagt mir irgendwann, dass ich nur noch anderthalb Stunden bis zum Feierabend habe (den ich mir geben kann, wann ich will), und plötzlich fange ich an zu tippen. Anderthalb Stunden später sind die beiden Finger, mit denen ich schreibe, müde. Dann koche ich was leckeres, setze mich vor den Fernseher und gucke mir weitere sinnlose Sendungen an.

Welchen Weg durchläuft ein Gedankenfunke hin zur ausgereiften Idee für eine Figur, ein Handlungselement, ein Thema für einen Roman?
Das geht los mit einer meist ganz simplen Idee. „Welcher Idiot denkt sich eigentlich so einen Mist aus?“ Und schon beginne ich mir zu überlegen, was wäre, wenn jemand sich für diesen Mist an dem Idioten rächen würde. Was für ein Mensch würde so etwas tun, und warum? Wie verlief sein Leben, was kompensiert er mit seinen Taten? Und wie könnte er das überhaupt praktisch hinbekommen? Braucht er Hilfe? Wenn ja, wer würde ihm helfen? Und warum? So geht das immer weiter. Irgendwann kenne ich die Opfer, den Täter und seine Geschichte. Wenn ich eine durchgehende Hauptfigur als Ermittler aufstelle, ist es etwas weniger Arbeit für mich. Ich muss dann nur noch überlegen, wie die Ermittlung so verlaufen könnte, dass der Kommissar zunächst im Dunkeln tappt, ihn dann etwas auf seine erste Fährte bringt und er aufgrund eines kleinen Fehlers des Täters schließlich zum Erfolg kommt. Dann brauche ich noch einen schönen Showdown. Das alles sollte allerdings auch noch den klassischen Prinzipien des Geschichtenerzählens folgen und das richtige Maß zwischen Neuem und Vertrautem haben. Steht dann erst mal der Plot, was einige Wochen dauern kann, ist das bloße Aufschreiben der Geschichte nur noch eine Fleißarbeit.

In Deinen Romanen kommt der deutschen Hauptstadt Berlin eine besondere Rolle als Schauplatz zu, an dem Du Dich ganz offensichtlich auskennst und wohlfühlst. Bitte führe uns durch Dein persönliches Berlin, welche Orte sind sehenswert, was sollte man meiden?
Die Orte, an denen ich mich wohlfühle, sind nicht unbedingt die Orte, an die ich meine Leser führe. Ich wohne ganz im Süden, in Schlachtensee. Das ist ein sehr ruhiger Ortsteil, in dem überwiegend alteingesessene Familien leben. Die vielen Zugereisten leben eher weiter im Stadtzentrum, so dass Berlin in meiner Wohngegend noch wirklich Berlin ist. Daher habe ich auch meinen neuen Kommissar Severin Boesherz in meine Wohnung ziehen lassen und meinen geliebten Süden im neuen Buch in vielen Szenen als Schauplatz gewählt. Dazu kommt aber natürlich auch noch das bunte, laute, spannende Berlin. Attraktionen wie das „Berlin Dungeon“, eine der zahlreichen Bauruinen oder die bunte Restaurantszene. Sehenswert finde ich außerdem auch viele der Museen, Konzerthäuser oder Theater. Ich liebe auch den Zoo, der im „Todeszauberer“ als Schauplatz dient. Aus dem Club-Alter bin ich raus. Privat findet man mich eher auf Weinproben, Kulturveranstaltungen oder am Wasser in einem gemütlichen Café. Ich fahre auch gern ins benachbarte Potsdam raus, wo ich viele Freunde habe.
Welche Merkmale würde ein Karikaturist an Dir besonders hervorheben?
Er würde garantiert meine Frisur aufgreifen, die ich seit über zwanzig Jahren nicht verändert habe. Vermutlich würde er mir alberne Muckis zeichnen, weil ich sehr viel im Sportstudio trainiere. Dann würde er mich in schlichte Kleidung stecken, die schwarz, weiß oder grau ist. Und er würde mir ein Glas in die Hand zeichnen. Ein riesengroßes Bordeauxglas, mit einem ganz kleinen Tröpfchen Wein darin, den ich stundenlang schwenke, bevor ich endlich mal etwas davon trinke (wie auch immer man das zeichnerisch darstellt).
An welchem – möglichst originellen – Ort auf der Welt sähest Du gerne Deine Romane zum Verkauf angeboten?
Im Urwald von Brasilien. Man vermutet dort noch etwa hundert Völker, die niemals zuvor in Kontakt mit der Außenwelt getreten sind. Was, wenn das Erste, was sie von unserer Zivilisation kennen lernen, meine Romane wären? Okay, sie könnten die nicht lesen. Sie würden aber vielleicht ihr Feuer damit anfachen. Oder sie anbeten. Okay, eher würden sie ihr Feuer damit anfachen. Aber hey, das wäre doch trotzdem total abgefahren, oder? 
Stichwort Tagesnachrichten: In letzter Zeit dominieren die Budgetpolitik der EU und interreligiöse Spannungen das Geschehen. Wie sollte Deiner Meinung nach ein Autor sich derartig “heiklen” Themen nähern? Ist es legitim, diese zu einem spannenden Stoff zu verarbeiten? Darf ein Krimiautor Seismologe der Gesellschaft sein, oder wären entsprechende Romane für Dich literarischer Opportunismus? Wie gehst Du selbst in Deinem Schreiben mit den täglichen Schlagzeilen um?
Autoren müssen über alles schreiben dürfen. Es ist sogar ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Ich überlasse heikle politische Themen aber den Autoren der höheren Literatur. Mein Anspruch ist es einfach nur, möglichst viele Menschen möglichst gut zu unterhalten. Nicht, Kontroversen auszulösen. Abgesehen davon, dass ein Buch zu einem brisanten aktuellen Thema zunächst sehr viel Recherche erfordert, um dann sehr schnell nicht mehr aktuell zu sein. Da bleibe ich lieber bei zeitlosen Themen wie Mord und Totschlag.

© Luca Steinmetz
Wärest Du selbst eine Figur in einem Deiner Romane, welche Rolle würdest Du spielen?
Anselm Drexler aus „Bis in den Tod hinein“! Natürlich würde ich nicht seine zerstörte Seele haben wollen, aber darstellen würde ich ihn für mein Leben gern mal. Endlich alles rauslassen, was mich nervt. Jeden Menschen belehren, der Müll redet, auch, wenn es total unhöflich und anmaßend ist. Einfach mal alles loswerden. Das muss sehr befreiend sein. Man könnte ja mal eine Anselm-Therapie anbieten. In Spielgruppen darf abwechselnd jeder mal Anselm Drexler sein und die anderen aus der Gruppe zusammenfalten, wie er es schon immer mal machen wollte. „Stellt euch gefälligst auf der Rolltreppe nicht nebeneinander! Da kommt dann nämlich keiner mehr vorbei, Ihr Vollpfosten! Und wenn Ihr mit Eurem Handy ein Video dreht, dann kippt es gefälligst um 90 Grad! Fernseher sind nämlich noch nie vertikal gewesen!“ Oder so ähnlich …

Du bist ausgebildeter Restaurantfachmann. Welche kulinarische Begleitung kannst Du zu Deinen Romanen empfehlen?
Flüssige! Ich bin großer Weinliebhaber. Mittlerweile habe ich sogar einen Anteil an einem Weingut erworben (okay, es ist nur ein Rebstock, aber trotzdem …). Zu meinen Büchern passt am besten ein guter Rotwein. Sei es ein „Quercus“, Lieblingswein von mir und Severin Boesherz, oder auch ein trockener Spanier oder Italiener. Wenn es doch etwas zu essen sein soll, dann Fleisch. Rot und saftig. Zum Vegetarier werde ich nämlich erst, wenn die Natur entscheidet, dass sie das möchte. Zu erkennen daran, dass Löwen sich nur noch von Gras und Haie sich nur noch von Plankton ernähren. Wenn das passiert, bin ich dabei.

Beim Lesen der Kern-Trilogie fühlte ich mich immer wieder an Comics erinnert. Vor allem die auf Julius und Tassilo zugespitzte Figurenkonstellation erinnert an einen Superhelden und seinen Erzfeind, die im jeweils anderen ihre Existenzberechtigung finden. Inwieweit tauchen Comics in Deiner eigenen Lesebiographie auf? Um welche Comics handelt es sich dabei?
Also, ich habe überhaupt nur einen einzigen Comic-Helden in meinem Leben gut gefunden. Und das war auch gleich der beknackteste, den man sich überhaupt nur aussuchen kann: Superman! Das wandelnde erzählerische Dilemma. Kann alles, sieht alles, hört alles, ist unverwundbar – kurz, von vornherein unbesiegbar. Was soll man denn da für einen Gegenspieler aufstellen? Keine Ahnung, warum ich den so gut fand. Ich habe mich als Kind sogar als Superman verkleidet und bin dann so durchs Haus gerannt.
Dass meine Romane manchen Leser an Comics erinnern liegt vermutlich eher daran, dass Comics, ebenso wie Thriller, den Regeln der antiken griechischen Tragödie folgen. Archetypische Erzählstrukturen, an denen kein Autor vorbeikommt. Auch nicht, wenn er einfach nur einen Sketch schreibt oder einen Werbespot entwickelt.

Um die vorige Frage etwas weiter zu fassen, von welchen Autoren und Büchern fühlst Du Dich inspiriert, welche finden sich auf Deinem Nachttisch?
Ich schreibe nicht, weil ich gern lese. Das denken viele Menschen: „Er schreibt bestimmt, weil er so viel liest!“ Das wäre, als ob man anfängt, Filme zu produzieren, weil man so gern ins Kino geht. Ich schreibe einfach, weil ich es kann. Es liegt mir, und viele Menschen mögen, was dabei herauskommt.
Fast immer, wenn ich mal das Buch eines Kollegen in die Hand nehme, ärgere ich dabei nur. „Es ist viel besser als meins, es ist viel schlechter als meins, die Idee hatte ich auch, verdammt, jetzt denken alle, dass ich das geklaut habe“ usw. Lesen setzt mich unter Stress, das versuche ich so gut es geht zu vermeiden.
Nun, da das Gespräch bereits fortgeschritten ist, dürfen wir noch einen weiteren Kaffee servieren? Was darf es als Kuchen oder Gebäck dazu sein?
Rüblikuchen! Als zu meiner Schulzeit eine Lehrerin zu ihrem Geburtstag einen Kuchen aus Mohrrüben mitgebracht hat, habe ich gelacht. Dann habe ich davon gegessen. Und nicht mehr gelacht.

Angenommen, Hollywood würde Deine Bücher verfilmen, wer wäre Deine Wunschbesetzung für Julius Kern und Tassilo Michaelis?
Wenn Hollywood die Geschichte in die USA versetzen würde, dann müsste man das anders besetzten, als wenn die Handlung weiter in Berlin spielt. Ein guter Tassilo für Deutschland wäre Christoph Waltz oder, vielleicht noch besser, Joachim Król. Für die USA vielleicht Johnny Depp. Ein deutscher Kern könnte Christian Berkel oder Peter Lohmeyer sein. Ein amerikanischer vielleicht George Clooney. Der ist zurzeit ziemlich gut beim Darstellen von zerrissenen Figuren. Es gibt übrigens eine Figur, die ich mir von Anfang an als einen konkreten deutschen Schauspieler vorgestellt habe: Anselm Drexler aus „Bis in den Tod hinein“ war in meinem Kopf von Anfang an Gustav Peter Wöhler. Die Vorstellung, ihn in dieser Rolle zu sehen, lässt mein Herz höher schlagen.
Ich hatte am Ende von “Der Prophet des Todes” den Eindruck, dass Dir der Abschied von Julius Kern nicht leicht fällt. Kannst Du diesen Eindruck bestätigen? Was gab den Ausschlag, mit dem Folgeroman “Bis in den Tod hinein” einen neuen Kommissar ins Rennen zu schicken? Wie hast Du die Figur Severin Boesherz konzipiert, um sie klar von Julius Kern zu unterscheiden?
Nein, den Eindruck kann ich nicht bestätigen. Ich war sogar ein bisschen froh, Kern los zu sein. Sind wir doch mal ehrlich: Kern ist nett. Er strebt nach Gerechtigkeit. Er ist wahnsinnig einfühlsam. Er ist treu, unbeugsam, immer auf dem Pfad der Gerechten. Das nervt doch auf Dauer total! Wo ist da der Kick, der Badboy? Julius ist ja ein Lieber, aber der darf jetzt erst mal eine Weile Urlaub und Fortbildung und sonst was machen. Die Trilogie war rund, und die Figur weiter zu erzählen, hätte den Lesern auf Dauer langweilig werden können, daher der neue Kommissar. Man sollte aufhören, wenn alle gern noch mehr gehabt hätten. Nicht, wenn sie schon auf die Uhr gucken und gähnen.
Mit Boesherz habe ich den genauen Gegenpart zu Kern geschaffen. Statt sich emotional einzufühlen, denkt er nur logisch. Statt nett zu sein ist er kantig. Statt sozial zu sein ist er eigenbrötlerisch.
Boesherz ist auch ein Ausdruck meiner Entwicklung als Autor. Habe ich am Anfang mit einem netten, jedem gefallenden Kern noch um die Liebe und Zustimmung der Leser gebuhlt, sagt Boesherz jetzt ganz deutlich: „Mögt mich, oder lest was anderes!“

Auf Deiner Facebook-Seite hast Du am 25. November 2014 gepostet: “Fast alle Morde aus “Bis in den Tod hinein” sind moderne Adaptionen der Geschichten aus dem “Struwwelpeter”. Der Roman ist 2013 erschienen, wie auch “Todesfrist” von Andreas Gruber, in dem sich ein Serienmörder exakt am “Struwwelpeter” orientiert. Stehst Du mit diesem Kollegen in Kontakt? Wusstest Du während des Schreibens bereits um diesen Roman, oder handelt es sich einfach um eine Idee, deren Zeit gekommen war?
Das war reiner Zufall. Aber dieser Vorfall hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich meine Einstellung zum Literaturbetrieb verändert hat. Zum Hintergrund: Ich hatte die Geschichte rund um einen Mann, der den Struwwelpeter in die Gegenwart übertragen und an unsere heutige Gesellschaft anpassen möchte, konzipiert und sorgfältig entwickelt. Dabei habe ich den Struwwelpeter, der zweifellos eines der einflussreichsten Werke der deutschsprachigen Literatur ist, auf seinen Kern reduziert und herausgearbeitet, welche Aussage hinter den jeweiligen Geschichten steckt. Dann habe ich herausgefiltert, welche Auswirkungen diese Aussagen auf Kinder haben. Und letztlich noch, wie sich unsere Gesellschaft unter dem Einfluss einer Grundhaltung, die unter anderem eben auch den Struwwelpeter hervorgebracht hat, bis hin zum „Dritten Reich“ entwickeln konnte. Anselm Drexler und sein Vater sind in nahezu jedem Detail, bis hin zum beschriebenen Haus der Familie, das im Entstehungsjahr des Struwwelpeter erbaut wurde, eine Parabel auf das, was dieses Kinderbuch zu einem der wichtigen Wegbereiter des Nationalsozialismus’ gemacht hat. Die Entstehung einer Gesellschaft, die Verantwortung blind an gewalttätige Autoritäten abgibt und aus Angst vor drakonischer Bestrafung gehorcht, ohne jemals nach einem Grund zu fragen. Also, kurz gesagt, ich hatte mir ein paar Gedanken gemacht.
Alles war geklärt, der Vertrag unterschrieben und das Buch in Arbeit, als ein Anruf kam: „Vincent, Du musst Dein Thema ändern, Andreas Gruber hat gerade ein Buch geschrieben, in dem es auch um den Struwwelpeter geht.“ Ich habe vollkommen richtig und schlüssig eingewendet, dass es höchstens eine Handvoll Leser geben wird, die zufällig beide Titel kaufen. Und, dass diese es dann sogar noch als Bereicherung erleben werden, zu sehen, wie zwei Autoren dasselbe Thema komplett unterschiedlich behandeln. Leider habe ich mich dann aber doch noch umstimmen lassen und den direkten Bezug zum „Struwwelpeter“ aus meinem Buch genommen. Nur ein Insider versteht jetzt noch, dass es im Text eigentlich um dieses Thema geht.

Was ist dann passiert?
Andreas Gruber kam mit einem Buch, das auf keiner Seite auch nur eine einzige Idee mit meinem gemeinsam hatte. Unsere beiden Lektoren hätten das mit einem Telefonat klären können.
— Ab jetzt würde ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mehr machen, deswegen blenden wir an dieser Stelle einfach Musik ein. —

„Mandy, you came and you gave without takin’. But I sent you away, oh, Mandy!“ …

Anknüpfend an die vorige Frage: Mitten in den Arbeiten zu einem neuen Roman, dem eine besonders raffinierter Geistesblitz zugrunde liegt, stellst Du fest, dass sich unabhängig von Dir ein weiterer Autor gerade mit demselben Thema beschäftigt. Wie gehst Du mit der Situation um?
Da habe ich ja das Meiste schon gesagt, aber ergänzend vielleicht noch: In Deutschland erscheinen jährlich rund 100.000 neue Bücher. Es ist komplett unerheblich, ob ein bestimmtes Thema von einem, zwei oder zehn Autoren behandelt wird. Es wird bei jedem Autor ein komplett anderes Buch herauskommen, und es ist besser, es gibt mehrere Bücher zu einem guten Thema, als jeweils nur eins zu einem uninteressanten. Einen Vorfall wie Struwwelpeter-Gate wird es zumindest in meiner Laufbahn nicht mehr geben. Daran bin ich gewachsen, man würde mich heute nicht mehr umstimmen können.  
In welcher Form stehst Du in Kontakt mit Deinen Lesern? Bist Du etwa in Leserunden im Internet oder bei öffentlichen Lesungen anzutreffen? Wie gehst Du mit – vorausgesetzt konstruktiven – Rückmeldungen von Lesern um?
Ich bin komplett bei meinen Lesern. Über meine offizielle Facebookseite halte ich die Liker ständig über alles auf dem Laufenden. Da kann man dann erfahren, woran ich gerade arbeite, welche Neuigkeiten es gibt, man kann Lesungen oder Freiexemplare gewinnen und Bilder davon sehen, wohin mein Beruf mich gerade mal wieder geführt hat. Mit Lesungen bin ich immer gern im Land unterwegs, und es gibt auch immer wieder Leserunden im Internet, die ich begleite. Auf konstruktive Rückmeldung antworte ich immer, manchmal sogar auf dumme. Die kommt aber fast nie vor, weil Menschen, die Bücher lesen, ja meist klug sind.
Wie ist Deine persönliche Einstellung zu Social Reading-Websites und der wachsenden Zahl privater Literatur-Blogs im Netz?
Solange ein Autor nicht auf Plakatwänden und in Werbespots promotet, nicht durch die Talkshows geschleust oder mit Preisen zugeschüttet wird, kann er ohne Blogs gar nicht existieren. Es gab nie, und wird es auch nie etwas Wichtigeres geben als Mundpropaganda. Dabei können sogar Verrisse kostbar sein. Hauptsache, über ein Buch wird gesprochen. Möglich, dass Verlage irgendwann überflüssig werden. Weiß ich nicht. Autoren und Menschen, die über ihre Bücher reden und schreiben, werden es aber nie sein.
Dein neuer Roman, der für Mitte des Jahres angekündigt ist, wird den Titel “Im Augenblick des Todes” tragen und einen weiteren kniffligen Fall für Severin Boesherz darstellen. Um bei dem Dir vertrauten Restaurantvokabular zu bleiben, dürfen wir Dich bereits um einen kleinen Gruß aus der Küche bitten?
Das ist ein richtig schönes Buch, trotz des eher nichtssagenden Titels. Weil es dem Leser ein bisschen was abverlangt. Da ist mal nicht alles so, wie immer. Ständig wendet sich das Blatt, immer wieder erscheint alles anders, als es dann ist. Die Hauptfigur wird von allen Seiten attackiert, auch aus den eigenen Reihen. Fragen von Liebe und Moral kommen auf, Gewalt wird zum Spiel, die Vergangenheit wirft immer länger werdende Schatten. „Im Augenblick des Todes“ ist ein wirklich ausgefeiltes Täuschungsmanöver, das schon mit den ersten beiden Sätzen klarstellt, wie der Hase laufen wird: „Es war alles von Anfang an offensichtlich. Und trotzdem unsichtbar.“
Würdest Du Dich selbst interviewen, welche Frage würdest Du Dir abschließend stellen?
„Was können wir denn nach „Im Augenblick des Todes“ von Dir erwarten? Gibt es neue Projekte?“
Ich habe in den vergangenen Monaten still und heimlich ein Buch geschrieben, das ich zuvor weder mit meiner Agentur, noch mit einem Verlag besprochen habe. Das ist unüblich. Als etablierter Autor schreibt man normalerweise Projekte, die man verkauft hat, bevor man die erste Seite tippt. Das Problem dabei ist, dass man dann seine geplante Geschichte gegenüber dem anvisierten Verleger erklären muss. Das wollte ich nicht. Es kommt dabei nämlich fast immer zu Einflussnahmen, und auf die hatte ich keine Lust. Wer meine Facebookseite liked, der wird auf dem Laufenden gehalten, wann und wo es das Ergebnis meiner kleinen Rebellion gegen die Mechanismen des Literaturbetriebes zu lesen gibt. Ein Buch, das einfach genau so ist, wie ich es wollte. Anders als meine LKA-Berlin-Reihe, spannend, gruselig, gnadenlos. 
  
© Interview, 2015 Wolfgang Brandner

6 comments

Lust zum stöbern und entdecken?

6 comments

Sabine K. 22. März 2015 - 16:24

Wenn ich nicht schon begeistert wäre, dann wärs jetzt so weit *gg*
Ich habe soooo oft genickt, gelächelt, mit offenem Mund gelesen.. Und klar ist, “Bis in den Tod hinein” zieht Anfang April ein. Damit ich dann, wenn der zweite Band kommt, gleich weiterlesen kann *gg*

Vielen Dank noch mal, für das tolle Interview! Und Vincent, Rüblikuchen ist klasse! 🙂

Liebe Grüße

Bine

Reply
Vincent Kliesch 22. März 2015 - 19:34

Du darfst mir gern einen backen! 🙂

Reply
Manuela S. 23. März 2015 - 8:46

Vielen Dank für das interessante Interview, und dem tollen Gewinnspiel dazu, ich musste mein Glück einfach versuchen.
Wünsche eine schöne Woche

LG Manuela S.

Reply
Sabine K. 23. März 2015 - 11:42

*lach*
Dann musst Du mal nach Duisburg kommen 😉 Dann gibts Muffin oder so….

Reply
TheReal Kaisu 23. März 2015 - 15:17

Vielen lieben Dank für das Interview
Mich hatte der gute Vincent ja direkt mit seinen Worten “Für alle, die im Service arbeiten. Lasst euch nicht ärgern!” direkt in mein Herz geschlichen 😀
Wird also Zeit mal die Bücher zu vervollständigen hier!

Reply
WolfgangB 23. März 2015 - 21:40

Vielen Dank für die netten und konstruktiven Rückmeldungen.

Ich durfte im Rahmen unseres Schwerpunktes und des Interviews mit Vincent Kliesch in Kontakt treten und ihn als einen ebenso geistreichen wie angenehm allürenfreien Autor kennenlernen. Danke auch von mir für diese Erfahrung. Dadurch hatte ich auch die Gelegenheit, einen Blick hinter die Seiten zu werfen, was die Romane für mich noch einmal interessanter werden ließ. Sollte es gelungen sein, diese Freude an den bereits veröffentlichten Romanen von Vincent Kliesch zu teilen und die Vorfreude auf den kommenden noch anzustacheln … nun, so freut uns das umso mehr!

Liebe Grüße und guten Appetit

Reply

Schreibe uns Deine Meinung