Im Gespräch mit Autor Jess Jochimsen

by Marcus Kufner
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Marcus hatte auf der Frankfurter Buchmesse das besondere Vergnügen, den Kabarettisten und Autor Jess Jochimsen beim Stand vom dtv-Verlag zu treffen und ihn mit Fragen zu seinem aktuellen Roman „Abschlussball” und zu seiner Person löchern zu dürfen.

© Britt Schilling
 
 

Eine Frage, die sich mir förmlich aufdrängt: Woher kommt die Idee dieser besonderen Art eines Abschlussballs, also eine Feier auf dem Friedhof für einen unbekannten, mittellosen Verstorbenen, zu der Obdachlose und andere Bedürftige eingeladen und vom Feinsten verköstigt werden? Gibt es das vielleicht sogar tatsächlich?

Es gibt Abschlussbälle, wie sie im Buch beschrieben werden, damit sozialbehördliche Bestattungen etwas würdevoller durchgeführt werden. Es gibt Leute, die sich engagieren, damit das Abschiednehmen nicht würdelos ist. Und dann gibt es in den letzten Jahren immer mehr Beerdigungen, die Festcharakter kriegen. Ich habe von einer Beerdigung eines Münchener Dandys gehört, wo wirklich Leute auf den Gräbern getanzt haben, obwohl sie die Siebzig schon längst überschritten haben. Diese beiden Phänomene habe ich dann zusammenfantasiert. Diese Art Fest fand ich schon super.

 

Wie entstand der Held des Romans, Marten, der als Kind schon außergewöhnliche Schwierigkeiten hatte? Durch Erfahrungen, Beobachtung oder ist er reine Fiktion?

Ich wollte ihn tatsächlich sehr solitär und einsam gestalten und wusste auch von Anfang an, dass er in einer Bibliothek arbeiten wird. Das habe ich selber mal gemacht – diese unglaubliche Einsamkeit der Gänge! Ein auf einen halben Regalmeter falsch einsortiertes Buch ist für alle Ewigkeit weg. Das war das Wichtigste, was wir gelernt haben in der Unibibliothek. Ich hatte geplant, ein Kapitel zu schreiben, wo Marten denkt, er sei alt, das war eine kleine Nebenidee. Dann habe ich beim Schreiben gemerkt, dass das wahrscheinlich für zwei, vielleicht sogar für drei Kapitel trägt. Ich hätte aber nicht für möglich gehalten, dass sich dieses Phänomen, sich alt zu fühlen, quasi fast über das ganze Buch trägt. Das war wirklich ein Zufall. Dann konnte ich viele andere Dinge, die ich Marten andichten wollte, weglassen, weil diese literarische Idee noch nicht da war, was mich sehr verwundert hat. Dieses Altseit ist unglaublich Realistisch, zumal die Symptome von Depression und Senilität lange parallel gehen. Das war ein Knackpunkt beim Schreiben von Marten. Das war aber wirklich Zufall. Ich hatte die Idee und dachte, die trägt für fünf Seiten, dann habe ich gemerkt, sie trägt vielleicht für zehn Seiten, ich hätte nicht gedacht, dass sie quasi die ganze Kindheit überspannt. Das war Glück.

 

Die intensive Charakterisierung von Marten spricht für eine gewisse Affinität zur Psychologie deinerseits. Ist da etwas dran?

Eigentlich gar nicht. Das interessiert mich auch nicht sonderlich.

 

Musik spielt in „Abschlussball” eine zentrale Rolle. Auch in deinem Leben?

Das wusste ich von Anfang an, darüber wollte ich schreiben. Ich wäre gerne Musiker geworden, aber dafür hat das Talent nicht gereicht. Ich mache aber bis heute viel Musik, auch auf der Bühne.

 

 

 

Welches Instrument spielst du?

Akkordeon und Gitarre , da ich auf der Bühne Lieder spiele, die ich selber komponiere. Aber ich habe ein Blasinstrument gelernt, nämlich Klarinette. Aber am Grab wird immer Geige oder Blechblasinstrument gespielt, es war dann schnell klar, dass es im Roman die Trompete wird.

 

Wer kam auf dieses gelungene Cover? Hattest du Einfluss darauf?

Das waren wir, schön dass du es erwähnst. Ein Freund von mir ist Grafiker, der schon mal ein Cover für ein Buch von mir gemacht hat. Wir wollten auch einen Entwurf mit ins Rennen schicken zu den Hausgrafikern des Verlags. Es war dann recht schnell klar, dass es unser Entwurf wird. Wir mussten uns dann nur noch mit dem Verlag über das Finanzielle einigen, das ging schon. Der Frau, die uns den Trompeter gemalt hat, habe ich etwas aus eigener Tasche gezahlt, weil ich unbedingt dieses schöne Cover wollte. Wir haben uns da viele Gedanken gemacht und sehr gekämpft. Glücklicherweise fand der Verlag den Entwurf auch schön.

 

Ein paar Fragen zum Autor: Wer ist Jess Jochimsen? Stellst du dich unseren Bloglesern, die dich nicht kennen, kurz vor?

Mein Name ist Jess Jochimsen, ich heiße auch wirklich so, komme auch wirklich aus München und habe über die Bühne zum Schreiben gefunden. Ich habe Germanistik, Politik und Philosophie studiert und habe mir das Studium mit Auftritten verdient. Heute würde man Singer/Songwriter sagen, damals hieß es noch Liedermacher. Ich habe bald gemerkt, dass die Ansagen zu den Liedern oft viel besser waren als die Lieder, weswegen die immer länger und zum Teil literarischer und politischer wurden. Bald habe ich gemerkt, dass ich mit Kleinkunst, Kabarett oder Standup meinen Lebensunterhalt bestreiten kann und habe parallel angefangen, für Zeitungen Kolumnen zu schreiben. Irgendwann auf den ersten Lesungen und Probebühnen hat mich mal jemand gesehen und eingeladen, ein Buchprojekt in Angriff zu nehmen. Der Traum war lange da, wobei es anfangs auf die Bühnen- und Kolumnentexte, also satirisch orientiert war. Davon habe ich zwei Bücher gemacht, die bei dtv so erfolgreich liefen, dass ich sagen konnte, ich will einen Roman schreiben. Das ist alles schon lange her, der erste Roman ist schon über zehn Jahre alt. An Abschlussball habe ich vier Jahre lang geschrieben. Ich muss auch zwischendurch auftreten, ich kann ja nicht durchgehend schreiben. Ich habe mich auch nie um die üblichen Wege bemüht – Stipendium, Artist in Residence irgendwo wie die Kollegen halt, die damit ihre Bücher finanzieren.

 

Wie sieht dein Schreiballtag aus?

Ich schreibe sehr langsam und ich muss sehr viel schreiben, viele Fassungen. Wenn man Literatur ernst nimmt, gibt es „mal eben ein Buch schreiben” nicht.

 

Durfte denn jemand drüberlesen?

Ich hatte dafür Freunde und Bekannte und eine Wahnsinnslektorin, die auch gar nicht im Verlag angesiedelt war. Das war ein Glücksfall. Sie arbeitet sehr uneitel und sehr genau. Sie sitzt in Berlin, da bin ich dann auch für zwei Wochen hingefahren und wir haben konzentriert gearbeitet. Sie kennt sich auch mit eitlen Schriftstellern aus, die nichts an ihren Sachen ändern wollen, da habe ich wirklich viel gelernt.

 

Verfolgst du Rezensionen?

Die bekomme ich immer geschickt und verlinke sie auch auf meiner Internetseite.

 

Spielen die sozialen Medien für dich als Autor eine Rolle?

Ich selber bin da als Autor nicht aktiv, weil ich noch wahnsinnig viel lese. Ich lese an die hundert Bücher pro Jahr. Das würde sich nicht mit einer konzentrierten Facebook-Bestückung vertragen. Ich bin eher darauf angewiesen, dass die Bühnen einen guten Facebook-Auftritt haben, weil da sitzen die Leute drin, die auch Facebook-Freunde sind. Dafür habe ich eine sehr gute Homepage, die ich auch täglich aktualisiere, das ist immer alles tiptop. Aber es gibt eben kein Twitter oder Facebook als Autor. Aber ich verfolge Besprechungen und verlinke sie auf meiner Homepage. Ich mache auch keinen Unterschied zwischen einer Zeitungs- und einer Blogkritik. Hauptsache es findet jemand gut und schreibt anständig darüber.

 

Hast du literarische Vorbilder?

Ein paar sind nicht zu verleugnen. Es ist schon Leserinnen und Lesern aufgefallen, dass mein Text einen Genazino-Touch hat. Den finde ich tatsächlich auch sehr gut. Aber ich finde sehr viele sehr gut.

 

Welche Genres liest du selbst am liebsten?

Dadurch dass ich so viel lese, habe ich bestimmte Sachen ausgeschlossen. Ich lese fast keine Krimis mehr, ich lese sehr wenige historische Romane und praktisch kein Science-Fiction. Ich lese vieles aus der Literatur aus sehr vielen Ländern. Man schafft ja immer nur ein Bruchteil von dem, was man lesen will. Ich empfehle auch Bücher auf meiner Internetseite, da sind auch schon ein paar hundert Rezensionen von mir. Kurzrezensionen als Service oder aus Liebe zu den Büchern. Damit verdiene ich kein Geld. Einmal im Jahr schreibe ich das alles auf und verschicke es über den Newsletter. Darauf gibt es sehr viele Zugriffe, das interessiert die Leute. Das ist bei mir auch ohne amazon-Link, einfach nur das Buch und der Text. Das schätzen viele Leute.

 

Zum Schluss die obligatorische Frage: gibt es Ideen für einen neuen Roman? 

Ideen ja. Jetzt startet erst mein neues Bühnenprogramm in Köln. Sobald das rollt, fange ich wieder an zu schreiben. Es gibt bisher ganz leise Ideen, ich will es noch nicht verschreien. Ich habe ja auch noch das Fotoprojekt, davon gibt es bereits zwei Bildbände bei dtv. Oder vielleicht wäre auch ein Band mit Kurzgeschichten etwas. Sowohl Angebot als auch Ideen wären da. Ich setze mich da allerdings nicht unter Druck. Ich finde es auch ganz schön, mich in mehreren Kunstsparten ausdrücken zu können. Früher waren meine Bücher sehr satirisch. Ich bin froh, dass ich diesen Satirebereich jetzt lassen kann und eher solche Bücher schreiben kann, die ganz ohne mich als Geschichte und Literatur funktionieren. Meine Bühnensachen funktionieren nicht ohne mich, und bei manchen meiner Bücher war es auch so, dass es eher über mich lief. Dieser Roman läuft gut und kommt auch bei Bloggern sehr gut an. Da geht es nicht um den Autor oder Kabarettisten, die fanden das Thema als Buch spannend. Das finde ich sehr schön. Das spricht für die Geschichte.

 

Vielen Dank, Jess Jochimsen, für die spannenden Einblicke und viel Erfolg mit dem aktuellen Bühnenprogramm!

Mehr von und über Jess Jochimsen gibt es auf seiner Homepage www.jessjochimsen.de
Zur Rezension von „Abschlussball” geht es hier

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