Wolfgang Benz: Protest und Menschlichkeit

by Jürgen Fottner
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Teil 2 einer Mini-Serie zum unbekannten und vergessenen Widerstand

Wolfgang Benz: Protest und Menschlichkeit - Beitrag buecherkaffee.de

Cover © Reclam Verlag

Die Erinnerung an die unbekannten und vergessenen Helfer

Nach der Lektüre von Mark Rosemans Buch „Du bist nicht ganz verlassen“ über den Widerstand der heute völlig unbekannten Gruppe „Bund – Gemeinschaft für sozialistisches Leben“ (den Beitrag dazu erkläre ich jetzt nachträglich zu Teil 1 der Serie) habe ich beschlossen (und auf Instagram auch schon angekündigt), einige andere Bücher zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus vorzustellen.

Dabei soll es aber eben nicht um die bekannten Namen und Gruppen gehen, sondern um die, von denen man heute kaum noch etwas weiß. Während die Weiße Rose, Georg Elser und natürlich die Personen im Zusammenhang des 20. Juli 1944 (fast) allen ein Begriff sind, gibt es doch so viel mehr bewundernswerte Menschen, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise dem Regime widersetzten. Und wie schon bei der von Roseman beschriebenen Gruppe stand auch bei „Onkel Emil“ der sogenannte „Rettungswiderstand“ im Vordergrund, also die Unterstützung v.a. jüdischer Menschen, ihr Schutz vor Verfolgung und dem sonst fast sicheren Tod.

„Clique“, „Ringverein“ und „Onkel Emil“

„Onkel Emil“ ist dabei eine Bezeichnung aus der Nachkriegszeit; die Gruppe selbst nannte sich einfach nur „Clique“ oder „Ringverein“ und hatte etwa 20 Frauen und Männer als Mitglieder. Im Mittelpunkt standen dabei die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich und ihr Lebensgefährte, der Dirigent Leo Borchard. Die Gruppe hatte lose Verbindungen zur sogenannten „Roten Kapelle“ und über Harald Poelchau auch zum Kreisauer Kreis. Nebenbei: Poelchau hat ein erschütterndes Buch mit dem Titel „Die letzten Stunden“ geschrieben, da er als Gefängnispfarrer in der Hinrichtungsstätte Plötzensee viele Widerstandkämpfer v.a. des 20. Juli und der Roten Kapelle auf ihrem letzten Gang begleitete.

Die Rettungsaktionen der Gruppe „Onkel Emil“, die 1938 nach der Pogromnacht begannen, waren geprägt von einer tiefen Menschlichkeit und setzten keinerlei Erwartungen voraus. In anderen Fällen erfolgte Hilfe oft nur gegen finanzielle, materielle oder sogar sexuelle Gegenleistungen. Und selbst ohne diese „Zahlungen“ war Hilfe oft verbunden mit einer bestimmten Haltung, die gerade der Clique völlig fremd war:

Die Hilfe für Juden wurde auf freundschaftlicher Augenhöhe geleistet, das unterscheidet die Clique von anderen »Unbesungenen Helden«, deren Attitüde oft herablassend und patriarchalisch blieb.  (S. 7)

Vom Pseudonym zur Glorifizierung: „Der Schattenmann“

Ein Problem in der Betrachtung von „Onkel Emil“ ist die Quellenlage. Es ist paradox, aber gerade dadurch, dass die Gruppe oft unter dem Radar der Gestapo arbeiteten konnte und es nur wenige Verhaftungen mit dem Verdacht des Widerstands gab, gibt es auch nur wenige Unterlagen. Die entscheidende Quelle ist das Tagebuch von Ruth Andreas-Friedrich, das direkt nach dem Krieg unter dem Titel „Der Schattenmann“ erschien. Erst im Jahre 2000 kamen dann noch die Erinnerungen der Tochter Ruths, Karin Friedrich, selbst Mitglied der Gruppe, dazu.

Ruth verwendete für alle Mitglieder Pseudonyme, die auch in späteren Ausgaben beibehalten wurden und tatsächlich bis heute nicht alle zu entschlüsseln sind. Ihr späterer Mann Walter Seitz fungierte übrigens als „Onkel Emil“. Das Beibehalten der Pseudonyme über die Jahre zeigt auch gleich das große Problem der Aufzeichnungen. Die Journalistin wollte das Bild der Gruppe v.a. mit ihr und Leo Borchard im Mittelpunkt zeigen, während alle anderen eher etwas am Rand stehen sollten. Ihre Glorifizierung v.a. von Leo ging so weit, dass sie z.B. völlig verschwieg, dass dieser während des Krieges heiratete und Kinder hatte. So geriet seine Familie (wie übrigens auch seine Schwester) dadurch, dass sie nicht erwähnt wurden, leider völlig in Vergessenheit.

In den späteren Ausgaben von „Der Schattenmann“ finden sich dann aber zumindest im Anhang die Entschlüsselungen der meisten Mitglieder (so im Nachwort von Jörg Drews aus dem Jahre 1986), ebenso wie der auch bei Wolfgang Benz abgedruckte „Tätigkeitsbericht der Gruppe »ONKEL EMIL« aus den letzten Monaten der Kampfjahre“.

Auch hier Enttäuschung nach dem Krieg

Die Clique teilt das Los vieler Gruppen aus dem Rettungswiderstand: Nach 1945 erhielt sie nicht annähernd die Anerkennung, die sich v.a. Ruth selbst erhoffte – und die sie auch verdient gehabt hätte. Wolfgang Benz zeigt einen der wichtigsten Gründe dafür auf: Gerade der Widerstand einfacher Menschen, der dann auch noch ohne spektakuläre Einzelaktionen auskam (wie z.B. die von Georg Elser), hielt den Deutschen in der Nachkriegsgesellschaft einen unangenehmen Spiegel vor. Zeigten diese Taten doch, dass man sehr wohl Widerstand und Hilfe im Alltäglichen leisten konnte:

In Wahrheit hätte es Alternativen gegeben zum Wegschauen, zur Gleichgültigkeit, zur Hinnahme der Verfolgung anderer. (S. 178).

Und natürlich blieb auch an den Mitglieder von „Onkel Emil“ immer ein wenig der Vorwurf hängen, sich angepasst zu haben – natürlich in völliger Verkennung der Tatsache, dass anderenfalls Hilfe und auch schlicht das dafür notwendige wirtschaftliche Fundament überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Denn auch hier funktioniert schwarz-weiß nicht:

Auch Ruth Andreas-Friedrich verliert im alltäglichen Kompromiss zwischen persönlicher Haltung und den Erfordernissen des Broterwerbs ihre politische Unschuld. Aber sie hat sich nie, wie so viele andere, als Autorin prostituiert.  (S. 85).

Fazit

Wolfgang Benz, einer der renommiertesten Historiker zum Thema Drittes Reich und v.a. auch zum Widerstand bietet mit diesem Buch über sein spezielles Thema hinaus noch einen wichtigen Überblick über den Widerstand im Alltäglichen, mit dem jüdische Menschen gerettet werden konnten (u.a. auch als vielleicht prominenteste Beispiele Hans Rosenthal und Michael Degen) und auch über die vielfältigen – und eben nicht immer rein humanistischen, selbstlosen – Motive der Helfenden. Und er beantwortet eine der Fragen nach 1945, die am meisten Unkenntnis und mangelndes Verständnis zum Ausdruck bringt: „Warum sind sie nicht ausgewandert?“ Schon allein diese Kapitel machen das Buch zu einem wichtigen und grundlegenden Baustein der Literatur zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

@ 2020,  Jürgen Fottner
Blogtransparenz: unbezahlte und unbeauftragte Werbung, das Buch wurde selbstgekauft. 

 

Zum Teil 1 der Miniserie:

Mark Roseman | »Du bist nicht ganz verlassen«

Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe »Onkel Emil« im Nationalsozialismus Book Cover Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe »Onkel Emil« im Nationalsozialismus
Wolfgang Benz
Sachbuch
Reclam Verlag | ISBN 978-3-15-011258-8
2020
Gebunden mit Schutzumschlag
220 Seiten
reclam.de
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