Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler

by Jürgen Fottner
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Abschließender Teil 5 der Serie zum unbekannten und vergessenen Widerstand

cover: Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen HitlerFrauke Geyken: Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler.
Cover © Bundeszentrale für politische Bildung (Buch dort nicht mehr lieferbar)

„In der öffentlichen Wahrnehmung des deutschen Widerstandes gegen Hitler dominieren Männer – sieht man von Sophie Scholl als Mitglied der Weißen Rose einmal ab.“ (Klappentext)

Umso wichtiger sind Untersuchungen zu den Frauen im Nationalsozialismus, die entweder selbst Widerstand leisteten oder in irgendeiner Form mit diesem verbunden waren. Denn Frauen spielten in unterschiedlichsten Formen beim Kampf gegen das Regime eine entscheidende Rolle.

Sieben exemplarische Schicksale als Grundlage

Überblicksdarstellungen neigen oft dazu, sich aufgrund der Masse an Informationen auf reine Aufzählungen zu beschränken und sich oft auch in diesen zu verlieren. Vor allem gehen dabei strukturelle Fragestellungen und Deutungen verloren. Frauke Geyken wählt daher einen anderen Weg und zeigt die wichtigsten Facetten des weiblichen Widerstandes an sieben Beispielen:

Da sind zuerst Frauen, die selber Widerstand geleistet haben: Antje Hasenclever (aktiv in der „Europäischen Union“ und im Rettungswiderstand), Cato Bontjes van Beek („Rote Kapelle“) und Sophie Scholl. Annedore Leber (ihr Mann Julius Leber war am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt) und Rosemarie Reichwein (ihr Mann gehörte zum „Kreisauer Kreis“) stehen exemplarisch für die Frauen, die vom Widerstand ihrer Männer wussten und diese dabei unterstützen. Mit Inge Aicher-Scholl und Marie Louise von Scheliha (ihr Mann setze sich für Verfolgte ein und wurde fälschlicherweise zur „Roten Kapelle“ gezählt) werden dann noch zwei Frauen vorgestellt, „die aus Widerstandfamilien stammen, ohne informiert oder beteiligt gewesen zu sein, deren späteres Leben aber maßgeblich vom Widerstand bestimmt war“ (S. 11).

Dies geschieht aber nicht als Aneinanderreihung von sieben Biografien – die Autorin greift die einzelnen Lebensbeschreibungen immer wieder auf und baut sie in chronologische und thematische Blöcke ein. Dabei kann Frau Geyken in diesem Rahmen immer wieder Frauen erwähnen, deren Schicksal oder Beweggründe ähnlich zu den sieben exemplarischen waren (so z.B. Margarethe von Trotha und Freya von Moltke aus dem „Kreisauer Kreis“, Marion York von Wartenberg oder Elisabeth von Thadden).

Wie jede fundierte Arbeit zum Widerstand legt auch dieses Buch die unterschiedlichen Wege und Definitionen von Widerstand dar und thematisiert das Problem der Kompromisse, Anpassungen und vielleicht sogar des Mitwirkens am Regime, um Freiräume zu schaffen, sich abzusichern, das eigentliche Ziel nicht aufs Spiel zu setzen durch zu deutlichen Nonkonformismus. Die Autorin zeigt, dass dies sogar dazu dienen konnte, Informationen zu sammeln. So trat Rosemarie Reichwein in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ein, um bei den Sammlungen an der Haustür zu prüfen, wer vielleicht am Regime zweifelte.

Eine wichtige Erkenntnis, die im Buch herausgearbeitet wird, ist, dass Frauen aller drei Gruppen auf ihre jeweils eigene Art Risiken eingingen, sich Gefahren oder zumindest einer nicht unerheblichen Belastung aussetzten. Für die Frauen, die vom Widerstand ihrer Männer wussten, bedeutete dies:

„Sie waren meist allein mit ihrem Wissen. Widerstand bedeutete für sie permanente Verstellung, drohende Gefahr, bedrückende Isolation und jeden Tag aufs Neue Angst um ihre Männer.“ (S. 145)

Und wie Frauke Geyken an anderer Stelle noch ergänzt, natürlich auch um die eigenen Kinder und um sich selbst. Aber auch die Frauen, die kaum etwas wussten, die durch dieses Nichtwissen von ihren Männer geschützt werden sollten im Falle einer Verhaftung, ahnten doch meist etwas, und diese Heimlichkeiten waren immer eine große Herausforderung für das Vertrauensverhältnis einer Partnerschaft.

Die „Rote Kapelle“ und die Frauen

Ein weiterer Punkt, der dieses Buch für mich persönlich heraushebt, ist die Tatsache, dass Frauke Geyken sich intensiv mit der sogenannten „Roten Kapelle“ beschäftigt. Nachdem die von der Gestapo unter diesem Namen subsumierten Personen jahrzehntelang in der Bundesrepublik als kommunistische Landesverräter verunglimpft wurden und erst ab 1990 wirklich anerkannt wurden (die letzten Urteile wurden sogar erst 2009 aufgehoben), halte ich die Beschäftigung mit diesen Menschen für umso wichtiger. Im Rahmen einer solchen Untersuchung ist diese Widerstandsbewegung erst recht zu erwähnen – denn weit über ein Drittel der Verhafteten im Zusammenhang der „Roten Kapelle“ waren Frauen. Und sie waren teilweise sehr aktiv, getreu dem Motto Dietrich Bonhoeffers, „dem Rad in die Speichen zu fallen.“ Nebenbei: Rudolf von Scheliha, der Mann von Marie-Louise, war einer derer, die von der Gestapo zur „Roten Kapelle“ gezählt wurde, obwohl sie nie dazugehörten und auch eine Verbindung von der Gestapo nie nachgewiesen werden konnte, was sich für seine Witwe jahrzehntelang als verhängnisvoll erweisen sollte:

Die Zeit danach: Kampf um Anerkennung und (Um-)deutungen

„Marie Louise Scheliha war in den Augen der Welt die Witwe eines bezahlten Landesverräters mit der niemand, auch nicht die Überlebenden und Hinterbliebenen des Widerstands, etwas zu tun haben wollten“ (S. 188).

Sie steht damit besonders deutlich für den oft schwierigen Kampf um Anerkennung und damit auch um finanzielle Unterstützung. Da wurde Widergutmachung versagt, gewährt, wieder zurückgerufen – und am Ende erhielt sie eine Gnadenrente: „Damit war sie versorgt, aber doch zugleich gedemütigt und nicht anerkannt.“ (S. 243)

„Viele andere Frauen des Widerstands gewannen die Kraft zum Weiterleben aus dem Andenken an den Widerstand, das sie als Auftrag verstanden.“ (S. 187)

So ging es v.a. Annedore Leber oder der Zellengenossin Cato van Beeks, Marta Hausmann.

Und so zeigen diese Beispiele, wie es Frauke Geyken gelingt, auch die unterschiedlichen Wege der überlebenden Frauen des Widerstandes oder der Frauen ehemaliger, meist hingerichteter Widerstandeskämpfer, nachzuzeichnen – immerhin nimmt die Zeit nach 1945 ein gutes Drittel des gesamten Buches ein.

Während man heute weiß, dass die „Rote Kapelle“ in eine kommunistische Verrätergruppe umgedeutet wurde, wer dafür verantwortlich war und wie dies geschah, zeigt die Historikerin solche Änderungen auch bei anderen Gruppen, bei denen man das weniger vermutete. Im ersten Moment sicher für viele überraschend traf dies besonders bei der Weißen Rose zu. Inge Scholl hat mit ihrem Buch „Die Weiße Rose“ und durch die sehr lange Zurückhaltung privater Dokumente die Deutungshoheit über die Geschichte der Gruppe erhalten und so z.B. erreicht, dass alle anderen Mitglieder der Weißen Rose außer ihren Geschwistern mehr und mehr aus der Wahrnehmung verschwanden. Das hat mich direkt so neugierig gemacht, dass ich mit der Autorin der neuen Sophie Scholl-Biografie „Wie schwer ein Menschenleben wiegt“ Kontakt aufgenommen habe und mir ihr Buch direkt gekauft habe.

Fazit:

„Wir standen nicht abseits“ von Frauke Geyken ist ein wichtiges und sehr gelungenes Buch zu einem Teilaspekt des Widerstandes, der viel zu selten thematisiert wird. Gerade der Weg, über beispielhafte Biografien die großen Linien und Strukturen zu zeigen, gelingt der Autorin hervorragend.

@ 2021, Jürgen Fottner
Blogtransparenz: unbezahlte und unbeauftragte Werbung, das Buch wurde selbstgekauft. 

 

Weitere Teile der Mini-Serie zum unbekannten und vergessenen Widerstand

Teil 1

Mark Roseman | »Du bist nicht ganz verlassen«

Teil 2

Wolfgang Benz: Protest und Menschlichkeit

Teil 3

Ronen Steinke: Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin

Teil 4

Sascha Lange: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus

 

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Wir standen nichts abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler
Frauke Geyken
Sachbuch / Politische Bildung
Verlag: Bundeszentrale für politische Bildung; Lizenzausgabe; ©Verlag C.H. Beck oHG | ISBN 978-3-8389-0473-3
2014
352 Seiten
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