Sascha Lange: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus

by Jürgen Fottner
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Teil 4 der Serie zum unbekannten und vergessenen Widerstand

Sascha Lange: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im NationalsozialismusCover © Bundeszentrale für politische Bildung

Nachdem sich die ersten drei Teile meiner kleinen Reihe mit Büchern über jeweils eine konkrete Gruppe oder über bestimmte Personen beschäftigt haben, geht es heute um eine ganze Generation:

Diktaturen vertragen weder Vielfalt noch Individualismus, auch keinen Eigensinn oder gar Spaß. All das aber suchen Jugendliche auf dem Weg ins Erwachsenenalter.

(Auszug aus dem Klappentext)

Wie geht man mit einer unglaublichen Menge an Informationen um?

Sascha Lange, promovierter Historiker mit dem Schwerpunkt Jugendkultur im 20. Jahrhundert, hat sich der außerordentlich schwierigen, da enorm umfangreichen Aufgabe gestellt, einen Überblick über Jugendopposition gegen den Nationalsozialismus, den Umgang des Regimes damit und der Hitler-Jugend zu geben. Und bei allem, was ich über dieses Buch schreiben möchte, muss man das im Hinterkopf behalten: „Somit ist dieses Buch ein Zwischenbericht.“ (S. 8).

Denn die schiere Masse an Gruppen und Personen bringt ein großes Problem mit sich: Wie gliedert man so ein Buch? Dabei geht Sascha Lange drei Wege: Er beschreibt bestimmte Gruppen wie Edelweißpiraten, Meuthen…, verwendet regionale Gliederungen und chronologische Prinzipien. So schwer diese Einteilung auch vorzunehmen ist, halte ich sie doch nicht an allen Stellen für gelungen. Gerade die beiden Prinzipien regional und spezifische Gruppen sind nicht immer stringent und ganz nachvollziehbar. Aber zumindest vermeidet es der Autor selbst bei sich überschneidenden Einteilungen, Informationen zu wiederholen.

Das chronologische Vorgehen hat vor allem das Jahr 1939 als große, einschneidende Zäsur für die Jugendkultur und –opposition. Zum einen zeigen sich bis dahin erste größere Erfolge der Gestapo und der Justiz in der Verfolgung der Gruppen, wobei im Gesamten gesehen die Behörden dem Thema oft relativ hilflos gegenüberstanden oder es nachrangig im Gegensatz zu anderen Verfolgungen ansahen. Zum anderen und als wichtigster Einschnitt erweist sich der Kriegsbeginn, denn damit verloren viele Gruppen Mitglieder, die nun zur Wehrmacht eingezogen wurden. Neben den personellen Neustrukturierungen bedeutete das für viele Gruppen auch, dass sie ihre Ziele neu definieren mussten oder wollten.

Widerstand oder jugendliche Aufsässigkeit?

Eine Frage, die zentral für dieses Buch ist und die in der Einleitung (allerdings nur kurz) thematisiert wird, ist, mit welcher Definition von Widerstand man die Aktivitäten der Gruppen betrachtet. Dazu muss man Definitionen von Widerstand, Opposition und Nonkonformität verwenden. Der Untertitel des Buches legt nahe, was nach Meinung des Autors die beiden Hauptaspekte waren.

Die meisten der im Buch beschriebenen unterschiedlichen Aktivitäten von Jugendgruppen sind in erster Linie als Nonkonformität und Opposition einzuordnen. Doch wird auch aufgezeigt, wie fließend jugendliche Aktivitäten in Widerstand münden können. (S. 9)

Sascha Lange: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus

Denn ist die Auflehnung gegen Autoritäten bereits Widerstand oder eine zeitübergreifende Reaktion der Jugend? Bei sehr vielen Gruppen spielten bestimmte Kleidungsstile eine große Rolle und natürlich gemeinsame Unternehmungen – immer wieder taucht da Wandern und Musik auf. Gerade aber auch die Ablehnung der HJ ist ein immer wieder auftauchendes Element der meisten Gruppen – in den Zusammenhang allerdings schon von Widerstand zu sprechen, ist kaum möglich, da teilweise selbst nationale/nationalistische Jugendgruppen die NS-Jugendorganisation ablehnten. Und daher muss immer wieder gefragt werden, welche Gruppen aus einem direkten politischen, moralischen, ethischen Grund entstanden, bei welchen dies erst im Laufe der Zeit dazu kam und bei welchen dies nie eine Rolle spielte.

Hier vermisst man in diesem Buch etwas die übergreifende, systematische Herangehensweise an die entscheidenden Fragen – wobei dies nicht als Vorwurf zu verstehen ist, denn eine Überblicksdarstellung kann das auch nur schwer leisten und Sascha Lange gibt immer wieder Hinweise und Ansätze zu einer Diskussion.

Opfer waren sie alle…, aber nicht alle blieben im Gedächtnis:

Bei allen Unterscheidungen von Widerstand, Opposition… darf eines nie vergessen werden, das Sascha Lange am Beispiel der Kölner Steinbrück-Gruppe, von der zwölf Mitglieder ohne Urteil gehenkt wurden, davon allein sechs Jungs unter 18 Jahren, sehr klar und richtig bemerkt:

Eine politische Widerstandsgruppe waren sie nicht, da weder politische Motive noch Diskussionen über Alternativen zum NS-Regime überliefert sind. Die Hingerichteten waren jedoch unbestreitbar Opfer des Nationalsozialismus und keine »kriminelle Bande«.  (S. 204)

Gerade für die Gruppen, die man tatsächlich unter dem Begriff Widerstand sehen kann, ist natürlich die Weiße Rose das Beispiel schlechthin. Doch Sascha Lange bemerkt zurecht, dass die große mediale Aufmerksamkeit, die dieser Gruppe zu Teil wurde, auch dazu führte, dass viele andere, die auch einem engen Widerstandsbegriff zugehörten, in den Hintergrund gerieten. Das gilt z.B. für Walter Klingenbeck, der 19jährig in München hingerichtet wurde oder Helmuth Hübner, der mit 17 Jahren in Berlin-Plötzensee sterben musste. Auch das ist eine interessante Frage: War diese mediale Zentrierung vielleicht auch bewusst oder unbewusst gewollt, um das Vergessen der eigenen Schuld zu fördern? Denn je mehr Widerstandsgruppen bekannt wurden, desto größer wurde der Rechtfertigungsdruck für alle Mitläufer, die sich auf ein „Man konnte doch nichts tun“ beriefen.

Fazit:

Wer einen gut geschriebenen Überblick zu dem Thema sucht, kann mit Sascha Langes Buch nichts falsch machen. Die Kapitel werden immer wieder ergänzt durch Interviews und Zeugenberichte, wodurch die Darstellung des Themas trotz der vielen Aufzählungen von Gruppen, Namen, Orten und Daten nicht trocken und abstrakt wirkt. Durch das gezeigte Einzelschicksal bricht der Autor die allgemeinen Zahlen und Fakten auf eine menschliche Ebene herunter und schafft so auch Nähe. Für mich war es ein Einstieg, dem aber unbedingt mehr und Genaueres folgen wird.

© Rezension: 2020, Jürgen Fottner
Blogtransparenz: unbezahlte und unbeauftragte Werbung, das Buch wurde selbstgekauft.

 

 

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Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus
Sascha Lange
Bundeszentrale für politische Bildung; Sonderausgabe; ©Ventil-Verlag 2015
2018 (unveränderte Neuauflage),
ISBN 978-3-7425-0245-2
223 Seiten
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