Wolfgang unterwegs || Peng 2014: Salzburger Krimifest 16.10. – 17.10. 2014

by Wolfgang Brandner
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Peng!

Ein Knall durchbricht die feuchte Stille im Salzburger Oktoberzwielicht.

Reglos sinkt das Opfer zu Boden.

Den zahlreich angereisten Ermittlern bietet sich ein Bild des Grauens. Nur wenig Zeit bleibt ihnen, den Mörder zu finden. Dabei sind lediglich folgende Fakten bekannt:

Mordopfer: der herbstlicher Trübsinn
Tatwaffe: geschliffene Worte, verpackt in einem Krimi, vermutlich auch Mozartkugeln

 

 

 

Nacheinander werden sich die Tatverdächtigen auf der Bühne einem gnadenlosen Verhör unterziehen, so lange, bis die Wahrheit ans Licht tritt. Unterstützt werden die ermittelnden Zuhörer dabei von Tomas Friedmann, Leiter des Literaturhauses Salzburg, Karin Buttenhauser, ORF Landesstudio Salzburg und Manfred Baumann, Autor. Letztgenanntem muß es durch eine raffinierte Täuschung gelungen sein, in die Reihe der Moderatoren aufgenommen zu werden, gilt er doch selbst als dringend tatverdächtig. Um für das sich offenbarende Grauen moralisch gerüstet zu sein, interpretieren Hana Kovalcikova am Akkordeon und Christoph Lindenbauer am Kontrabass bekannte Melodien wie die Themen aus Pink Panther und James Bond, während Würstel und belegte Brote körperlich bei Kräften halten.

Im folgenden finden sich die Protokolle der Verhöre, die sich über zwei kurzweiligende Abende erstrecken: 

 

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Tatverdächtiger 1: Friedrich Ani

Tatwaffe: Kurzgeschichtenband “Unterhaltung”

Besondere Kennzeichen: Der Verdächtige bringt seine Zuhörer mit der provokanten Frage “War Hitler ein Nazi?” nachhaltig aus dem Konzept.

Tathergang: Im allseits beliebten bayerischen Idiom trägt der Autor zwei Stücke aus seiner Sammlung mörderischer Kurzgeschichten vor. Während in der ersten ein mit allen Wassern gewaschener rustikaler Supercop selbst einem querschnittgelähmten Jugendlichen den Mord an einem Gewichtheber entlockt, läßt er in der zweiten an einem nachmitternächtlichen Dialog teilhaben, der mit oben erwähnter Frage eröffnet wird. Das Wirtshaus als Handlungsort weiß Ani insofern zu schätzen, als daß es als Rückzugsmöglichkeit für seine Figuren dient, die in diesem Biotop ihr Innerstes dem Leser offenbaren können.

 

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Tatverdächtiger 2: Franz Zeller

Tatwaffe: “Sieben letzte Worte”

Besondere Kennzeichen: Bei seinem Chefermittler Franco Moll handelt es sich um einen alleinerziehenden Vater, eine genreuntypische aber charmante Situation.

Tathergang: Franz Zeller, seines Zeichens Wissenschaftsredakteur im Radiosender Ö1, nutzt das barocke Salzburg als Kulisse für einen Mord in der gesellschaftlichen Mittelschicht. Dem urbanen Kommissar Moll stellt er den übergewichtigen Kollegen aus dem Pinzgau namens Oberhollenzer (dessen Vorname übrigens nur dem Autor selbst bekannt ist) zur Seite, deren addierte Charaktereigenschaften eine komplette Persönlichkeit ergeben würden. Zellers Schwiegervater, der an den bisherigen Romanen zu wenig Sex & Crime bemängelte, sei nun sehr zufrieden.

 

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Tatverdächtige 3: Mitra Devi

Tatwaffe: “Das Kainszeichen”

Besondere Kennzeichen: Die Schweizerin, die ein halbes Jahr in Indien, zwei Jahre in Israel verbrachte und insgesamt 32 Mal umgezogen ist, öffnet das Fenster zur weiten Welt.

Tathergang: In filigraner Sprache erzählt – nein, ertanzt die Autorin die Geschichte um ihre Privatdetektivin Nora Tabani und läßt sich auf die Herausforderung ein, wie in diesem Berufsstand das Informationsdefizit gegenüber einer Polizistin wettgemacht werden kann. Außerdem bereichert sie den Wortschatz der Zuhörer um den Schweizer Begriff “Schreckmüpflis” (kurze Gutenachtkrimis).

 

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Tatverdächtige 4: Eva Rossmann

Tatwaffe: “Alles Rot”

Besondere Kennzeichen: Legt nach Anfragen dreier Weinbauern, die sich in Figuren wiedererkannt zu haben glaubten, viel Wert auf fiktive Ortsnamen.

Tathergang: Die bekennende Zypern-Liebhaberin Rossmann schildert nach Recherchen vor Ort eine Stimmung von Gier, Neid und Mißtrauen, die sich gegenüber dem EU-Machtzentrum Brüssel aufgebaut hat. Die Spannung entlädt sich im Mord an einer Task-Force-Leiterin, der die Hauptfigur Mira Valensky über das Weinviertel in die belgische Hauptstadt führt. Äußerst beunruhigend auf das Publikum wirkt dabei die lebensnahe Schilderung einer Klaustrophobie-Attacke.

 

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Tatverdächtiger 5: Christian David

Tatwaffe: “Mädchenauge”

Besondere Kennzeichen: erweist sich als das Phantom unter den Verdächtigen, nachdem der Moderator nach intensiven Internet-Recherchen nur wenig Persönliches erfahren konnte.

Tathergang: Der Autor ist zugleich Verfasser einer Klaus Kinski-Biographie und legt klar, daß die Hauptfigur seines Romans, Staatsanwältin Lilly Horn, als ausgesprochen starke Frau dem exzentrischen Schauspieler wohl nicht zu Gesicht gestanden wäre. Er begreift das Schreiben als Spiel mit der Welt, die nach seiner Einschätzung per se nicht gut sei. Das Krimi-Genre sei daher die ideale Gelegenheit, nichts schönen zu müssen.

Nach dieser ersten Serie an aufreibenden Verhören wird das Publikum in eine gewiß nicht einfache Nachtruhe entlassen. Zuvor bietet sich jedoch noch die Möglichkeit, die Verdächtigen in Einzelgesprächen näher kennezulernen, wobei die familiäre Atmosphäre des Salzburger Literaturhauses den idealen Rahmen bietet.

Eingeleitet von scharfkantigen Tangorhythmen, die eine Gratwanderung zwischen Spiel und Ernst markieren, nimmt das Publikum am nächsten Tag seine Arbeit wieder auf. Verschärft wird die ohnehin angespannte Situation durch Quizfragen des Moderators und den Beschuß mit Mozartkugeln für richtige Antworten.

 

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Tatverdächtiger 6: Manfred Baumann

Tatwaffe: “Drachenjungfer”

Besondere Kennzeichen: Tags zuvor noch als Vermittler zwischen Publikum und Delinquent im Einsatz, zeigt er nun sein wahres Gesicht als Lokalmatador

Tathergang: Die Aufklärung eines Mordfalls an einer hoffnungsvollen Kandidatin einer Castingshow für Marketenderinnen führt an den Fuß der Krimmler Wasserfälle, die sich lautmalerisch als allgegenwärtige Kulisse wiederfinden. Der Autor erweist sich als Energiebündel auf der Bühne, als er den Auftritt eines “Andreas Gabalier für Arme” im Bierdunst eines Wirtshauses so authentisch präsentiert, daß das Publium schaudernd vermeint, sich dem Original gegenüberzusehen.

 

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Tatverdächtige 7: Tatjana Kruse

Tatwaffe: “Grabt Opa aus”

Besondere Kennzeichen: beweist besonderes Talent für Sprachwitz durch den Einsatz von Kreativkompositakompositionen.

Tathergang: In schwäbischer Spritzigkeit erinnert Kruse durch Situationskomik im Kleinbürgertum an Meister Loriot. Ihr Protagonist Alfie hegt nämlich eine Abneigung gegen alte Menschung und erbst just ein Altersheim für pensionierte Auftragskiller.

 

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Tatverdächtiger 8: Christian Mähr

Tatwaffe: “Tod auf der Tageskarte”

Besondere Kennzeichen: stilisiert sich als personifzierte Bescheidenheit, indem er beiläufig fallen läßt, daß eine seiner Geschichten mit Tobias Moretti vom ORF verfilmt wird.

Tathergang: Mit ruhig-brummiger Erzählstimme versucht der Verdächtige sein Publikum einzulullen, dem jedoch keineswegs entgeht, daß die bewußte Reduktion von Temperament durch scharfe, treffsichere Formulierungen kompensiert werden. Auf die Fernsehadaption seines Romanes angesprochen, gibt er zu bedenken, daß es keinen empirschen Beweis für plötzliches Großverdienertum durch einen solchen Wechsel des Mediums gibt.

 

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Tatverdächtiger 9: Deon Meyer

Tatwaffe: “Cobra”

Besondere Kennzeichen: verfaßt seine Romane in seiner Muttersprache Afrikaans und liest als Apple-Afficionado zwei Seiten als phonetische Kostprobe von seinem iPhone vor.

Tathergang: Hinterhältig versucht der kernige, großgewachsene Meyer durch einen moderierenden Übersetzer und einen vorlesenden Schauspieler zu verbergen, daß er eigentlich recht gut Deutsch versteht. Der bekennende Mozart-Liebhaber gibt jedoch zu, sein aktiver Wortschatz sei “just enough to get me into trouble.”

Dem Druck des Verhörs kann der Verdächtige nicht standhalten und muß schließlich berichten, im Zuge seiner Recherchen für den Roman von Freunden bei der südafrikanischen Polizei an einen 70jährigen ehemaligen Taschendieb vermittelt worden zu sein, der ihn in die Feinheiten des Handwerks einweihte. Er sucht außerdem seine Handlungsorte persönlich auf, um sie mit allen Sinnen zu erfassen und sie somit in der gegebenen Authentizität in den Romanen abzubilden.

 

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Tatverdächtiger 10: Berhard Aichner

Tatwaffe: “Totenfrau”

Besondere Kennzeichen: Arbeitete zu Recherchezwecken ein halbes Jahr in einem Bestattungsinstitut

Tathergang: Der visuell sehr ansprechende Stil des Tiroler Autors wird durch seinen Zweitberuf als Fotograf geprägt. Seine wortgewaltige Raffinesse zeigt sich nicht zuletzt darin, daß es ihm gelingt, den Leser Sympathie für eine mordende Protagonistin empfinden zu lassen. Außerdem erinnert die beißende Satire auf Kosten seiner Tiroler Heimat immer wieder an Felix Mitterer, der sich mit seiner Piefke-Saga nachhaltige Mißgunst sicherte.

 

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Tatverdächtige 11: Zoe Beck

Tatwaffe: “Brixton Hill”

Besondere Kennzeichen: Bemüht sich, durch Positionsangaben via Social Media ein Alibi zu verschaffen.

Tathergang: Das unscheinbar wirkende Multitalent, auch als Übersetzerin tätig, zeigt sich sich als Mitbegründerin eines E-Book-Verlages für anspruchsvollere Texte äußerst aufgeschlossen gegenüber modernen literarischen Distributionsformen. Für ihren eigenen Roman Brixton Hill entführt sie die Zuhörer von der Stadt an der Salzach, wo sie ihre Lesepremiere absolviert, an die Metropole an der Themse, die sie mit großer Ortskenntnis und Wissen um die gesellschaftliche Sedimentierung zum Leben erweckt. Feinsinnig geschildert, vermeint sich der Leser zuweilen sogar an Nicci French erinnert. Ein Ablenkungsmanöver?

 

 

Keine Überraschungen bietet schließlich die Auflösung des kniffligen Falles. In der Frage, wer mit seinen Geschichten die saisonale Melancholie mutwillig gemeuchelt hat, bekennen sich alle der Verdächtigen schuldig. Geständnisse werden bereitwillig unterschrieben und mit persönlichen Widmungen versehen. Resignierend lassen sich die überführten Verdächtigen allürenlos auf Plaudereien über ihre Romane oder auch die Qualität der dargebotenen Würstel ein. Von Deon Meyer läßt sich etwa in Erfahrung bringen, daß es sich um eine Art südafrikanischen Aberglauben handelt, den eigenen Namen niemals zweimal auf derselben Buchseite zuzulassen, weshalb der gedruckte Schriftzug elegant durchgestrichen und durch einen handschriftlichen ersetzt wird.

Die erfolgreichen Ermittlungsverfahren werden als abgeschlossen verbucht, aber
ist dasBedürfnis nach einer Bühne für niveauvolle Kriminalromane in einem Literaturhaus deshalb gestillt?

Keineswegs.

Auch im nächsten Herbst wird wieder mit bluttriefenden Pointen und tieffliegenden Mozartkugeln zu rechnen sein.  

 

© Bericht & Fotografien: 2014, Wolfgang Brandner
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