Aufgelesen #20
Teil 2 der Kolumne rund um Ingeborg Bachmann. Wer Teil 1 “Es kommen härtere Tage” verpasst hat, kann diesen HIER nachlesen
Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noemi! Mirjam!
Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noemi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.
Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noemi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!
Die junge Studentin schreibt daraufhin geschmeichelt an ihre Eltern:
“Heute hat sich noch etwas ereignet. Der surrealistische Lyriker Paul Celan, den ich bei dem Maler Jené am vorletzten Abend mit Weigel noch kennenlernte und der sehr faszinierend ist, hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze. Leider muss er in einem Monat nach Paris. Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.”
© Wolfgang Brandner
Literatur zum Thema:
Herzzeit – Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Der Briefwechsel
suhrkamp taschenbuch 12.10.2009, Broschur, 399 Seiten, ISBN: 978-3-518-46115-0
Hrsg: Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann
http://www.suhrkamp.de/buecher/herzzeit-ingeborg_bachmann_46115.html