Das Bücherkaffee.
Leider nicht unbegrenzte Lesezeiten.
Wir schreiben das Jahr 2016.
Dies sind die Zeilen eines Kolumnisten, der zwei Wochen nach Veröffentlichung des ersten Teils seiner Betrachtungen über Star Trek ein weiteres Mal Gedanken zu einzelnen Episoden der Serien formuliert. Dabei beschäftigt er sich mit einem Thema, das bis vor zwei Wochen nie ein Mensch zuvor auf diesem Blog gesehen hat.
[Den Einsteig verpasst? HIER könnt ihr nochmals den ersten Teil der Kolumne “Der Weltraum, unendliche Weiten” nachlesen]
Deep Space Nine: “Jenseits der Sterne” (Staffel 6, Episode 13):
Die politische Situation im Alpha-Quadranten wird zusehens instabiler. Nach einer schlechten Nachricht erleidet Captain Sisko einen Nevernzusamenbruch und erwacht als mäßig erfolgreicher Science-fiction-Autor namens Benny Russel im New York des Jahres 1953. Er fertigt eine Zeichnung an, die Deep Space Nine erstaunlich ähnelt und ersinnt eine Erzählung über eine Raumstation mit einem farbigen Kommandanten … die natürlich von seinem Verleger prompt abgelehnt wird.
Nicht nur, daß die Schauspieler in dieser Episode wieder einmal in gänzlich anderen Rollen agieren dürfen (Armin Shimerman sogar ohne seine aufwendige Ferengi-Maske), auch ist sie wohl als eine Anspielung auf Gene Roddenberry, den Erfinder von Star Trek selbst zu verstehen: eines Visionärs, in dessen Geschichten die Menschheit sich von Krieg und Rassismus befreit hat. Außerdem gelingt es, mit der Figur des Benny Russell das Selbstverständnis von Star Trek so weit zu erschüttern, daß der Zuseher am Ende bereit ist, das Universums des 22. Jahrhunderts tatsächlich als Fiktion innerhalb der Fiktion zu akzeptieren. Ein spannendes Gedankenexperiment, das zugleich die buchstäblich weltenerschaffende und -erschütternde Kraft des Erzählens demonstriert.
Deep Space Nine: “Unser Mann Bashir” (Staffel 4, Episode 10):
Ja, ich habe ein Faible für Holodeck-Episoden und jene mit alternativen Welten. Diese beginnt mit einem Shuttle-Unfall, in letzter Sekunde können die Führungsoffiziere gerettet werden, indem ihre Persönlichkeitsmuster in den Computer der Raumstation kopiert werden. Pikanterweise wird damit das laufende Holodeckprogramm des Arztes Dr. Bashir überschrieben, der in seiner Freizeit gerade Geheimagent spielt. So werden also die Figuren des Programms mit den Körpern der geretteten Offiziere ersetzt. Chefingenieur O’Brien darf in die Rolle des Auftragskillers schlüpfen, Major Kira gibt die verführerische russische Spionin und Jadzia Dax die leichtbekleidete, hilflose Wissenschafterin. Captain Sisko hingegen darf sich als Dr. Noah in größenwahnsinnigen Weltherrschaftsphantasien wälzen. Ja, die Erklärung für diese Geschichte ist an den Haaren herbeigezogen, aber das Ergebnis ist ein Riesenspaß für Schauspieler und Zuseher. Interessanterweise teilt Dr. Julian Bashir seine Initialen mit dem bekanntesten Geheimagenten der Filmgeschichte – und damit ist nicht Jason Bourne gemeint.
Voyager: “Equinox” (Staffel 5, Episoden 25, Staffel 6, Episode 1):
Zugegeben, für diese Serie konnte ich mich nach TNG und DS9 nie sonderlich erwärmen. Zu unrealistisch erschien mir die Vorstellung, daß die Besatzung eines Schiffes, das weitab von der Heimat gestrandet ist, sich so willfährig ihrem Schicksal fügt, daß Captain Janeway ihre hehren Moralvorstellungen wie einen Schild vor sich herträgt, von dem alle Zweifel abprallen, daß so etwas wie Meuterei bestenfalls ansatzweise erkennbar ist und im Keim erstickt wird. Wie erfrischend realistisch war daher die Begegnung mit einem Schiff der Föderation, dessen Besatzung verzweifelt genug war, die Oberste Direktive (die die Einmischung in die Entwicklung fremder Kulturen untersagt) über Bord zu werfen, die sich nach intensiven inneren moralischen Kämpfen dazu entschlossen hat, das eigene Wohl über jenes andere Spezies zu stellen. Die Crew der Equinox befindet sich in einem permanenten Abwehrkampf gegen eine auf Energie beruhende Lebensform, deren Vertreter sie quasi zur Verstärkung des Schiffsantriebs verheizen können.
Keine Frage, daß dieses Vorgehen verwerflich ist, aber in diesem Zweiteiler wird das Szenario einer moralisch verfallenen Voyager gezeichnet, das “Was wäre wenn”-Spiel glaubhaft durchexerziert.
Enterprise: “Dies sind die Abenteuer” (Staffel 4, Episode 22):
Mit der fünften Star Trek-Serie wurde eine Emanzipation vom 22. Jahrhundert und dem inzwischen unentwirrbar gewordenenen Geschichtenknäuel um Picard, Sisko, Janeway, Wurmlöcher, Borg und viele, viele Zeitreisen vollzogen. Selbst jene Fans, die ihre private Garage zur Raumschiffbrücke umgebaut hatten, konnten die exakte Chronologie nur mehr schwer nachvollziehen. Immer mehr Konsistenzfehler wurden von findigen Geistern – manche mögen sie Nerds nennen – aufgedeckt, da war es nur logisch, die neue Serie in der Zeit vor James T. Kirk anzusiedeln.
Deren letzte Episode ist nun so etwas wie sentimentaler Overkill: Die offizielle Gründung der Föderation steht bevor, die NX-01, Captain Archers Schiff soll ausgemustert werden. Rasch entpuppt sich diese Situation als Holodecksimualation von Will Riker und Deanna Troi von der Enterprise-D. Somit werden der Serie die letzten Weihen erteilt, die Verbindung zum Gesamtkontext noch weiter verstärkt. Schließlich wird noch eine der sympathischsten Figuren in den Heldentod geschickt, und, um die emotionale Spannung endgültig auszureizen, wird als Abschluß der Eröffnungstext von den Captains Picard, Kirk und Archer gesprochen. Immerhin, auch, wenn der Versuch, vom vorzeitigen Ende der Serie durch den Wechsel ins Emotionale abzulenken, offensichtlich ist, beschleicht mich im Rückblick jedes Mal die Gänsehaut …Doch dazu (vielleicht) ein anderes Mal …Mit einem derart komplexen Universum an ineinander verschachtelten Geschichten wurde J.J. Abrams, dem Neuen auf der Position des Captains … pardon: Regisseurs … ein schwer zu bewältigendes Erbe hinterlassen. Für die Filme unter seine Ägide wählte er den einfachsten und zugleich radikalsten Weg: einen Neustart in einem jungfräulichen Universum.
Freudiges Weiterlesen … und … live long and prosper!
© Wolfgang Brandner
verwendetes Bildmaterial: © http://kaboompics.com
3 comments
Ein Trekkie unter den Buchbloggern und ich wusste es noch nicht?
Vielen Dank für diesen Blogbeitrag. Bisher hab ich mich von ST:ENT noch abgeschreckt gefühlt, eben wegen der Logikfehler und der Anachronismen (neumoderne Brücke vor der Kirk-Zeit?! Da hätte man trashiger arbeiten müssen). Aber nach dem Post reizt es mich doch, mal mehr als nur den Beagle und den guten Titelsong anzuschauen.
Dankeschön und LG
Taaya von Let 'em eat books
Trekkie und Buchblogger … ist das denn ein Widerspruch? 😉
Danke für Deinen Kommentar!
Du findest Logikfehler und Anachronismen in Star Trek? Nun, das hat (leider) eine etwas längere Tradition und trat mit den Stilmitteln Zeitreisen und Paralleluniversen gehäuft auf. Man denke beispielsweise an die romulanische Tochter von Tasha Yar. In DS9 ist man dann ja so weit gegangen das ganze zu parodieren (die Episode mit den Tribbles und “Little Green Men”), aber in Voyager wurde das ganze dann leider unerträglich.
Und genau darum solltest Du Enterprise eine Chance geben – weil es so ein angenehm entschleunigter Kontrast zu Voyager ist. Das Beamen war bestenfalls im Versuchsstadium, der Rote Alarm wurde scherzhalber “Reed Alert” genannt, alles in allem hat man sich bemüht, den Charme einer Zukunft herzustellen, die aus heutiger Sicht musealen Charakter hat. Lange hat man's dann aber eh nicht durchgehalten, irgendwann mußte wieder Action in die Serie.
Aber Deine Beobachtungen, der Beagle und der erstmals gesungene Titelsong, das waren schon deutliche Zeichen eines Stilwechsels.
Wenn Du die ersten paar Episoden gesehen hast, laß' uns bitte wissen, wie's Dir gefällt. Bis dahin, alles Gute
Wolfgang
Nein, ausschließen tut sich das zum Glück nicht. Sonst wäre ich verloren. Ein Leben ohne Bücher oder ein Leben ohne Star Trek? Beides unvorstellbar. (Und wenn man sich entscheiden muss, was macht man dann mit den Star Trek-Romanen?)
Aber die Tribblefolge war doch genial! Ich glaube, das ist neben dem Original meine Lieblingsfolge aller Star Trek-Serien bis jetzt.
Angeblich sollen die Serien ja 2017 alle auf Netflix verfügbar sein. Neulich war sie noch bei Prime, wenn ich mich recht erinnere, aber als ich heute einfach mal reinschauen wollte, war sie leider nicht mehr da.
Daher kann ich leider erst im nächsten Jahr sagen, was ich davon denke. Grauzonen-Streaming mache ich sehr ungern, auch wenn es manchmal nicht zu verhindern ist, weil ja leider nicht alles überhaupt nach Deutschland kommt (Sarah Jane Adventures).
Naja, lange Rede, kurzer Sinn: Gern melde ich mich wieder, wenn ich die ersten Folgen geschaut habe. Kann nur leider etwas dauern.
LG
Taaya von Let 'em eat books