Ein Fall für Patsy Logan
Boom. Town. Blues.
Drei Wörter, drei Silben, in roter Leuchschrift vor einer nächtlichen Skyline.
Der Titel des Romans vollbringt verdichtet erzählerische Arbeit: Er gibt den Rhythmus vor, präsentiert das Motiv des Krimis und vermittelt die Melancholie schlecht ausgeleuchteter Winkel eines Pubs weit nach dem Datumswechsel. Dass er nicht aus dem Regionalkrimititelbaukasten stammt, weckt die Neugier.
Patsy Logan, Kriminalhauptkommissarin aus Deutschland und bereits Heldin ihrer eigenen Krimiserie, ist angeschlagen. Die Ehe ist gescheitert, bei einer Beförderung wurde sie übergangen, und ihr Kinderwunsch blieb unerfüllt. In ihrer zweiten Heimat Irland will sie den Kopf wieder freibekommen. Ihre Schwester Sinéad, deren Gegenwart sie unmittelbar wieder in Zeiten jugendlichen Leichtsinns versetzt, hilft bereitwillig. Ein Giftmord an einer deutschen Staatsbürgerin in der österreichischen Botschaft in Dublin beendet ihre Selbstsuche, sie muss als Außenstelle der deutschen Behörden fungieren. Und ihre irischen Wurzeln prädestinieren sie für diesen Auftrag.
Nur Sinéad blieb. Sinéad kannte die Patsy Logan vor der Polizistin. Die dunklen Ecken und alles, was ich darin in Schach hielt. Immer, wenn wir uns sahen, kam es raus. Ich, die geschüttelte Flasche Champagner, sie, der Korkenzieher. (S. 123)
Die Hauptfigur ist ungefähr im gleichen Alter wie Ellen Dunne, außerdem teilen die beiden die emotionale Verbindung sowohl zu Österreich, als auch zu Irland. Patsy Logan könnte also ein Stückweit das Alter Ego der Autorin sein. Dazu passt, dass der Roman über weite Strecken in der Ich-Perspektive erzählt ist. Patsy Logan wird überwiegend von innen charakterisiert. Ihre Wortwahl, Reihenfolge und Inhalt ihrer Gedanken, die Motivationen für ihre Entscheidungen geben mindestens ebenso viel über die Figur preis wie eine Beobachtung von außen. Was sie besonders ausmacht, sind ihre mentalen Kommentare, die oft an der Grenze zum Zynismus verlaufen und erst im letzten Moment entscheiden, ob sie diese Grenze überschreiten wollen.
Immer wieder eingeschoben sind scheinbar beliebige Begebenheiten, zunächst ohne erkennbaren Zusammenhang. Rechtzeitig zum Finale fügen sie sich zu einem durchdacht konzipierten Gesamtbild zusammen. Beim Lesen blättert man nachdenklich zurück, wenn ein Name schon einmal aufgetaucht ist. Die Aha-Momente sind kleine Belohnungen für die Aufmerksamkeit.
Je länger die Nächte mit getrübtem Bewusstein werden, desto stärker bricht die Sehnsucht nach dem Ehemann Stefan hervor. Als streng rationaler Psychologe wäre er ein Anker für die von Zweifeln geplagte Patsy. Auch Sam Feurstein, Attaché in der österreichischen Botschaft, weckt als diplomatiesicherer Gentleman Patsys Bedürfnis nach Erdung. Zwischendurch findet sie Trost in den Armen von Ben Ferguson, seines Zeichens Berufskollege und Bilderbuch-Ire. Dass der Roman trotz der amourösen Beanspruchung der Hauptfigur nicht das Genre wechselt, liegt an deren pragmatischem Zugang: Patsy sucht nach Stabilität, nicht nach kitschiger Romantik.
Ein guter Krimi stillt nicht nur das Bedürfnis nach Gerechtigkeit, sondern spürt anhand möglicher Mordmotive Störungen im gesellschaftlichen Gefüge auf. Im Fall von “Boom Town Blues” sind das die Folgen der wirtschaftlichen Bruchlandung im Zuge der globalen Finanzkrise 2008, der ein Höhenflug vorausgegangen war. Jene uneinbringlichen Kredite, die von einer Bad Bank des Staates übernommen worden waren, wurden von internationalen Investmentfonds als Geschäftsmodell entdeckt. Oft dienten Immobilien als Besicherung, beliebte Spekulationsobjekte. Den abstrakten Positionen in der Buchhaltung entsprechen unzählige Familien, die ihre Häuser verloren und deren Einkommen gepfändet wurden. Ein Finanzsystem, in dem minimale Kursschwankungen reale Existenzen vernichten können, weckt ohnmächtiges Unverständnis.
Seit mittlerweile drei Romanen ist Patsy Logan auf Ermittlungen mit sowohl deutschem, als auch irischem Bezug spezalisiert. Für die Autorin ist diese Konstellation einerseits ein Alleinstellungsmerkmal auf dem eng gewordenen Krimi-Markt. Andererseits vergleicht sie mit viel Vergnügen und trockenem Humor die unterschiedlichen Mentalitäten:
Aber ganz sicher, weil ihn hier in Dublin immer wieder etwas an Österreich erinnerte. Der Humor und das fehlende Selbstbewusstsein. Die vordergründige Höflichkeit. Die Freunderlwirtschaft überall. Der Beißreflex gegen das größere, einflussreichere Nachbarland. Die harmlose Fassade, die man so leicht unterschätzte. (S. 139)
Persönliches Fazit
“Boom Town Blues” von Ellen Dunne erzählt vom Trümmerhaufen nach dem irischen Immobilienboom. Parallel zu den Ermittlungen in einem Mord muss Hauptfigur Patsy Logan ihre Selbstzweifel bewältigen. Ihre geschliffen sarkastischen Kommentare sind dafür nur bedingt tauglich, sind aber ein Vergnügen beim Lesen.
© Rezension: 2022, Wolfgang Brandner
Patsy Logan Reihe
Kriminalroman
Haymon Verlag | ISBN: 978-3-7099-7939-6
22.02.2022
Paperback
320 Seiten, Paperback
www.haymonverlag.at
2 comments
Danke für den Buchtipp. Das klingt wirklich interessant.
[…] also die Königsklasse, der Roman-Glauser. der in diesem Jahr wohlverdient für „Boom Town Blues“ an Ellen Dunne. Ein Dublin-Krimi mit deutsch-irischer Ermittlerin, einem […]